Buchbesprechung/Rezension:

Maja Haderlap: Engel des Vergessens

verfasst am 23.08.2011 | 2 Kommentare

AutorIn & Genre: Haderlap, Maja, Romane
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

„Der Engel des Vergessens dürfte vergessen haben, die Spuren der Vergangenheit aus meinem Gedächtnis zu tilgen.“, schreibt Maja Haderlap am Ende ihres preisgekrönten ersten Prosawerkes. Gott sei Dank sind diese Himmelswesen auch nur Menschen, sonst wäre uns diese berührende, eindringlich-sensible, aber auch tieftraurige Lebens- Familien- und Volksgruppengeschichte aus dem Kärntner Grenzland „erspart“ geblieben. Und dies wäre ein großer Verlust für die literarische Landschaft Österreichs.

Die Autorin beginnt ihre Autobiographie mit Erinnerungen an ihre Kindheit am elterlichen Hof im Lepena-Graben, in der Nähe von Eisenkappl (nunmehr gnädigerweise auch Železna Kapla-Bela) in den Kärntner Bergen gelegen, direkt an der Grenze zu Slowenien. Die herrliche Landschaft der Wälder und Wiesen steht in krassem Gegensatz zur allgemeinen Stimmung in diesem Landstrich.

Der Tod ist ein ständiger Begleiter der kleinen Maja – sei es durch Erzählungen der Großmutter über ihre Zeit im Konzentrationslager Ravensbrück, sei es durch die grauenhaften Erinnerungen an den Naziterror im Kärntner Unterland oder durch die häufigen Selbstmorde in der Gegend als Resultat der vielfältigen Kriegstraumata.

Selbst der eigene Vater droht mehrmals, wild gestikulierend mit einem Jagdgewehr in Händen, den Suizid an, da er seine seelischen Verwerfungen aus der Kriegszeit nicht überwinden kann – im zarten Alter von 12 Jahren schloss er sich den Partisanen an, nachdem ihn die GESTAPO gefoltert hat. »Er macht seinen Beklemmungen Luft, schleudert uns seine Wut als Wortsteinschlag entgegen, der uns unter sich begräbt, aus dem wir uns Stunden später mühsam herausarbeiten müssen.«

Maja Haderlaps Mutter ist eine fromme, sensible, jedoch aufgrund der Umstände unglückliche Frau, die ein gespannt-distanziertes Verhältnis zu ihrer Tochter pflegt.

Hauptbezugsperson ist die, trotz ihrer entbehrungsreichen Geschichte, kraftvolle Großmutter, die in den ersten Jahren die Erziehung übernimmt. »Im Sommer trage ich zu Hause das erste Mal einen Bikini. Großmutter holt, als sie mich darin erblickt, ihre Gusseisenpfanne und räuchert mich mit dem bitteren Duft der Weidenzweige ein.«

Aufgrund ihrer Begabungen führt Maja Haderlaps Weg ins Gymnasium in Klagenfurt und schließlich zum Studium der Theaterwissenschaft nach Wien. Je weiter der Roman und somit das Erwachsenwerden voranschreiten, desto reflexiver werden die Betrachtungen der Erzählerin, desto präziser wird die Sprache und einer der größten Schandflecke der österreichischen Zeitgeschichte, der mit dem Begriff Ortstafelkonflikt nur unzureichend beschrieben wird, rückt immer stärker in den Mittelpunkt.

Zwar gab es vor kurzem die Einigung zur Aufstellung zusätzlicher Ortstafeln, doch auch hier wurde um jede einzelne Tafel gerungen, gab es keine Großzügigkeit des offiziellen Österreich für diese Volksgruppe, kein Hauch von Wiedergutmachung für die Jahre der Schmach und Unterdrückung. Ich finde dies, um es vornehm auszudrücken, schlicht und einfach schäbig. Jahrzehntelang wurden ihnen selbstverständliche Rechte verweigert, oftmals aus niederträchtigen politischen Motiven. Besonders die vom Himmel gefallene Kärntner Sonne hat sich dabei besonders unwürdig hervorgetan und eine Bande von Kriminellen hinterlassen.

Widerwärtig empfand ich bei der Lektüre das Verhalten eines beträchtlichen Teils der deutschsprachigen Mehrheit, die ihren slowenischstämmigen Mitbürgern einfach das Recht auf Heimat abgesprochen haben. Dabei sollten diese dummen und provinziellen Menschen einmal darüber nachdenken, wer im Krieg auf welcher Seite gestanden ist, wer die Nazis bekämpft und wer freudig mitgelaufen ist und wer somit eigentlich Dank und Anerkennung verdient hat.

Ups, hier ist wohl mein politisches Temperament mit mir durchgegangen, also zurück zum Stück. In Haderlaps Prosawerk, mit dem sie den diesjährigen Bachmann-Preis gewonnen hat, schimmert immer wieder ihre lyrische Profession durch und erinnert in Abschnitten an Texte der großen Herta Müller. Besonders die Großmutter und der Vater sind facettenreich und sehr intensiv beschrieben. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Autorin auch in Zukunft weiteren Erzählungen und Romanen widmet, denn aufzuarbeiten gibt es im südlichsten Bundesland wahrlich noch genug.

Besonders erfreulich ist auch die Tatsache, dass „der Engel des Vergessens“ seit Wochen die Verkaufslisten im österreichischen Buchhandel anführt und somit ein wenig Wahrheit über das Pack auf der anderen Seite des Packsattels bringt.

PS: Weil’s zur Thematik passt, ein Posting aus der Tageszeitung „Der Standard“:

Gast: Kärntnerbua
05.08.2011 23:05

Warum muss ich mich so für unser Bundesland schämen?

Mitglieder der Kärntner Landesregierung sind korrupt!
Sie verschulden das Bundesland wie verrückt!
Die Aussagen des Landeshauptmannes sind unerträglich!
Die Arbeitslosenrate steigt!
Die Abwanderung nimmt zu!
Die Kärntner Landesregierung attakiert die unabhägige Justitz (sic)

Wie lange müssen wir uns das noch gefallen lassen?
Wo wird dies noch hinführen!




RSS-Feed für Kommentare zu diesem Beitrag 2 Kommentare


  • Kommentar von  Björn Treber am 07.04.2022 um 22:18 Uhr

    Ich finde beide Zitate, die Du da aus dem meiner Meinung nach herausragenden Buch herausgegriffen hast, sehr aussagekräftig. Gibt es nicht auch Auskunft über die ästhetische Konzeption des Buches? Die Ausführungen von Walter Benjamins Thesen zur Geschichte werden ja einen Absatz zu zuvor in ein wenig abgewandelter Form zitiert. Die Zeitgeschichte Kärntens ist eine der Dauerkrise. Ist es nicht als eine poetisch-politische Reaktion auf die fatalen kollektiven Fehlleistungen (Der Historiker Valentin hat sie Sonderfälle der öst. Zeitgeschichte genannt) gerade nicht zu vergessen. Aber nicht einfach nicht zu vergessen, sondern der Engel des Vergessens soll vergessen die persönlichen Erinnerung aus dem Gedächntnis zu tilgen. Am Ende des Zitat heißt es über diesem von der Kärntner Politiklandschaft bitterbenötigten Engel: “Er wird keine Gestalt haben. Er wird in den Büchern verschwinden. Er wird eine Erzählung sein.” (Maja Haderlap, Engel des Vergessens, 286) Dafür braucht es eine bestimmte Sprachkonzeption, eine bestimmte Ästhetik des leidenden Hoffens, des hoffenden Leidens, steckt nicht vor allem in der Sprache diese Hoffnung, in den poetischen Bildern, die gerade einen Landstrich beschreiben, wo man mit gutem Recht alle Hoffnung fallen lassen kann?

  • Kommentar von  Sündi am 30.08.2011 um 09:27 Uhr

    Vorauseilende Entschuldigung bevor noch jemand auf die Idee kommt mich zu beschimpfen:

    Natürlich meinte ich mit dem Pack jenseits des Packsattels nicht grosso modo die gesamte Kärntner Bevölkerung. Aber mir ist es für die haaresträubende Zustände in diesem Bundesland einfach zu ruhig. Wo bleibt die sich wehrende Zivilgesellschaft? Gibt’s die überhaupt? Oder haben Wagner und Haider tatsächlich derart gründliche Arbeit geleistet?

    Weil eines dürfen die lieben Kärntnerinnen und Kärntner nicht vergessen bzw. verdrängen: es wird in Zukunft auch einmal bewertet werden, welchen Anteil sie selbst an der Beendigung dieser unwürdig-kriminellen Posse gehabt haben – gewählt haben sie sie schließlich auch selbst (43%!).
    Momentan, so Leid es mir tut, ist Kärnten ein Land, das man möglichst rasch durchquert und wenn es sich vermeiden lässt nicht einmal das.
    Sorry.


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