Buchbesprechung/Rezension:

Walter Schübler: Komteß Mizzi
Eine Chronik aus dem Wien um 1900

Walter Schübler: Komteß Mizzi
verfasst am 26.03.2020 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Geschichte, Schübler, Walter
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Der Fall der Marie Veith, genannt “Komteß Mizzi”, versetzte die Wienerinnen und Wiener im Jahr 1908 in Aufregung. Die 18-jährige Marie wurde im April des Jahres gemeinsam mit ihrem Vater, Marcell Veith, wegen Prostitution verhaftet. Die junge Frau war schon seit einigen Jahren in den Geschäft tätig, schon als 13-jährige habe sie Kontakt mit Männern gehabt.

Es war aber vor allem zwei Umstände, die daraus einen wirklichen Skandal machte: ihr Vater war zugleich auch ihr Zuhälter, führte sie zu den diversen Etablissements, handelte den Lohn aus und betritt seinen eigenen Lebensunhalten – und den der ganzen Familie – ausschließlich mit Maries Einkünften. Zudem vermutete man, von zahlreichen Zeugenaussagen untermauert, dass es zwischen Vater und Tochter auch ein intimen Verhältnis gegeben habe. Der andere Umstand: viele bekannte Namen befanden sich unter der “Bekanntschaften” der Komteß Mizzi.

Marcell Veith hatte in seinem Leben auf vielfältige Weise versucht, Geld zu verdienen, war aber bei allen seinen Vorhaben am Ende gescheitert. Seine Tochter, die er, so stellte sich heraus, nur angenommen hatte, die aber nicht seine leibliche Tochter war, entwickelte sich zur jugendlichen Schönheit. So verfiel Veith auf den Plan, diese Schönheit von Marie zu Geld zu machen. Gegenüber der Polizei und dem Gericht rechtfertigte er sich damit, er habe nur eine gute Partie für seine Tochter finden wollen und hätte auch niemals angenommen, dass es zu Intimitäten mit den Männern gekommen wäre. Die Geldbeträge, die Marie ihm ablieferte, wären nur, so habe er geglaubt, Geschenke der Herren gewesen, erhalten ohne Gegenleistungen.

Marie nahm sich kurz nach der Verhaftung das Leben, Marcell kam vor Gericht und wurde zu einem Jahr Kerker verurteilt. Mit seinen Aufzeichungen, in denen er Namen und Beträge penibel aufgelistet hatte, kam er danach doch noch zu Geld: die Kundenliste wurde in einer Zeitung veröffentlicht und das sorgte nicht nur für einen weiteren Skandal sondern brachte auch viele der mehr als 200 darin angeführten Männer in ernste Bedrängnis, darunter viele bekannte Namen aus der Gesellschaft, auch solche aus den Kreisen der Polizei. Diese Liste ist im Buch abgedruckt und es finden sich darin einige, auch noch heute, geläufige Namen.

Neben den reinen Fakten, die dieses Buch liefert, liefert es vor allem auch sehr lebhafte Bilder der Welt und des Lebens des Jahres 1908. Über die Gesellschaft und deren Standesdünkel, über die Ausdrucksweise der Menschen und deren Verhältnis zu den k.k. Behörden; über die Vorgangsweise von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht. Original-Stadtpläne mit den im Buch erwähnten Orten und Auszüge aus Zeitungsberichten runden den Bericht über die Vorgänge ab.

Der originale Gerichtsakt umfasst mehr als 1.000 Seiten. Um daraus ein lesbares Buch zu machen und die enthaltenen Aussagen und Protokolle mit sonstigen zeitgenössischen Quellen in Einklang zu bringen, war wohl ein enormer Aufwand nötig, der sich aber wirklich gelohnt hat. Denn nicht oft kommt man in historischen Büchern über die Donaumonarchie so dicht an die Menschen der Zeit und an ihre Lebensumstände heran.

Ein bemerkenswerter Aspekt ist auch, wie die Behörden ihre Erkundigungen einholten. In Zeiten ohne Internet, Online-Datenbanken und mobilen Telefonen war es, für einen Menschen des 21. Jahrhunderts ist das kaum nachvollziehbar, trotzdem möglich, in kurzer Zeit, auch aus weit entfernten Gegenden der Monarchie, Auskünfte zu erhalten. Es kann leicht passieren, dass es heutzutage oftmals mehr Zeit und Geduld erfordert, mit Ämtern zu kommunizieren.

PS: Ebenfalls im April 1908 erschien Arthur Schnitzlers Komödie “Komtesse Mizzi oder Der Familientag”. Diese Zeit- und Namensgleichheit ist wohl nur zufällig und auch der Inhalt des Stückes dreht sich war um die Wiener Gesellschaft, weist aber sonst keine erkennbaren Überschneidungen mit dem Kriminalfall auf; aber wer weiß schon, was Schnitzler aus den Salons der Stadt davor zugetragen worden war.




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