Buchbesprechung/Rezension:

Zora Neale Hurston: Barracoon
Die Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven

Zora Neale Hurston: Barracoon
verfasst am 24.02.2020 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Biographien, Hurston, Zora Neale
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Er war der letzte Überlebende des letzten Sklavenschiffes, das die Vereinigten Staaten erreichte: Oluale Kossola war 19 Jahre alt, als er im Jahr 1860 vom Volk der Fon in Dahomey verschleppt und an einen weißen Sklavenhändler verkauft wurde.

Die Anthropologin und großartige Schriftstellerin Zora Neale Hurston führte mit dem nunmehr 86jährigen ehemaligen Sklaven im Jahr 1928 über mehrere Monate hinweg Gespräche, deren Inhalt dieser beeindruckende Mann selbst war: Cudjo Lewis, der Name, den er seit seiner Ankunft in Amerika trug, erzählte vom Leben in seiner Heimatstadt Bante in Westafrika (im heutigen Benin), vom Überfall des benachbarten Volkes der Fon auf sein Dorf, vom Massaker, dem viele seiner Verwandten und Freunde zum Opfer fielen, vom Verkauf an den Sklavenhändler William Foster, von der Überfahrt auf der Clotilda, dem letzten Sklavenschiff.

Erst im Jahr 2018 wurde dieser “Roman” veröffentlicht, zu Lebzeiten von Zora Neale Hurston fand sich dafür kein Verlag (“Roman” in Anführungszeichen deshalb, weil es vieles gleichzeitig ist: Biografie, Reportage, Geschichtsbuch, Dokumentation, Interview).

Die Lebensgeschichte von Cudjo Lewis nimmt rund die Hälfte dieses Buches ein. Er kommt dabei selbst zu Wort, seine eigene Erzählung ist nur wenig überarbeitet und mit Anmerkungen der Autorin ergänzt.

Diese etwas mehr als 80 Seiten sind gleich aus mehreren Gründen bemerkenswert und beeindruckend. Denn der einfache alte Mann, der nach den westlichen Maßstäben wohl als ungebildet gelten mag, erzählt mit unglaublicher Milde über diese Erlebnisse, die sein Leben prägten. So sehr ihn sein Schicksal und die Gewalt, die andere ausübten, immer wieder aus seiner gewohnten Welt und aus seinen persönlichen Umfeld heraus rissen, so sehr scheint er in sich zu ruhen.

Man kann es Zora Neale Hurston gar nicht hoch genug anrechnen, dass sie Cudjos Geschichte in dessen eigenen Worten niederschrieb, anstatt daraus eine sprachlich korrekte Biografie zu verfassen. Da dabei natürlich ein Teil dieser Sprachweise in der Übersetzung ins Deutsche verloren geht, ist im Buch auch ein Abschnitt mit den Originalworten abgedruckt; auch wenn es keine Tonbandaufzeichung von alledem gibt, so kann man dadurch beim Lesen beinahe Cudjo Lewis selbst sprechen hören.

Ergänzende Informationen helfen, diese Lebenserzählung in den historischen Kontext einzuordnen.

Rund fünf Jahre lebte Cudjo Lewis als Sklave, bevor ihm der Sieg der Nordstaaten im Sezessionkrieg die Freiheit brachte. Wie er diese Zeit beschreibt, das ist dann doch unerwartet: denn er klagt nicht direkt an, er geht nicht mit der Sklaverei direkt ins Gericht, sondern er tut das indirekt, er betrauert vor allem den Umstand, dass er seine Heimat niemals wiedersehen konnte.

So sehr ihm dann auch das Leben nach seiner Freilassung viele Schicksalsschläge zumutete, so sehr gewinnt man den Eindruck, dass er alles das geduldig erträgt. Auch im hohen Alter, als letzter Überlebender seiner Familie und der noch in Afrika geborenen ehemaligen Sklaven, kann er sich an den kleinen Dingen des Lebens erfreuen. Nur die Einsamkeit bedrückt ihn schwer, eine Einsamkeit, die er in einer unzerstörten Gemeinschaft in seiner Heimatstadt Bante wohl nie erlebt hätte.

Cudjo Lewis starb im Jahr 1935 im Alter von ca. 94 Jahren. Mit diesem Buch wurde ihm eine der beeindruckendsten Biografien gewidmet, die ich bisher gelesen habe.

Weiterführende Informationen:
Cudjoe(!) Lewis auf Wikipedia
Cudjo Lewis in der Encyclopedia of Alabama
Africa Town

PS: Erst vor kurzem stellte sich heraus, dass eine Leidensgenossin, die ebenfalls auf der Clotilda nach Amerika transportiert wurde, ihn um noch zwei Jahre überlebte.




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