Buchbesprechung/Rezension:

Markus Thiele: Zeit der Schuldigen

Markus Thiele
verfasst am 05.03.2024 | 1 Kommentar

AutorIn & Genre: Kriminalromane, Thiele, Markus
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Die 17-jährige Nina wird vergewaltigt und ermordet. Der Täter muss dabei in einen Gewaltrausch verfallen sein, so sehr hat er auf die junge Frau eingestochen.

Es ist das Jahr 1982, was für diesen Fall bedeutsam ist, weil die DNA-Analyse zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich war. Sie wird erst einige Jahrzehnte später dazu verhelfen, den Täter zu überführen. Doch bedeutet „überführen“ in diesem Fall auch „verurteilen“?

Dem Täter wird schon nach wenigen Monaten der Prozess gemacht, das Urteil lautet auf „Lebenslänglich“. Der Berufung des Angeklagten wird stattgegeben und im zweiten Prozess wird er freigesprochen. Freispruch bedeutet nach deutschen Recht, dass es zu keiner neuen Verhandlung kommen kann, außer unter ganz wenigen Bedingungen.

Die Folgen eines Verbrechens

Wie ein so grausames Verbrechen an der Seele derjenigen nagt, die weiter leben. Die Mutter, die wochenlang nicht imstande ist, ihre Wohnung zu verlassen. Der Vater, der seine Erinnerungen an seine Tochter wie eine ewige Schuld mit sich trägt, der daran denkt, wie es anders hätte kommen können.

Wie es an einem Ermittler nagt, wenn er so einen Fall nicht endgültig abschließen, weil der Täter, der von dem alle wissen, dass er der Täter ist, nicht ins Gefängnis bringen kann.

Wenn die zulässigen Methoden der Polizei versagen, ist es dann gerechtfertigt, andere Methoden anzuwenden? Methoden, die vielleicht ebenso kriminell sind, wie das, was die Polizei bekämpfen soll. Aber wenn es dem Ziel dient, endgültig einen Täter zur Verantwortung zu ziehen, ist es dann nicht gerecht und zulässig?

Der Roman geht in zugleich bewegender wie beunruhigender Weise einer Frage nach: Wenn alle Beteiligten von der Schuld eines Täters überzeugt sind, aber Paragrafen und Fristen eine Verurteilung verhindern – wo beginnt und endet Gerechtigkeit, wo beginnt und endet Recht.

Der Rechtsstaat ist die Geißel des Rechtsstaats. Ein Straftäter muss sich nicht an Recht und Gesetz halten, er ist den Behörden immer zwei Schritte voraus.
S. 77

Nur ein Fall von so vielen

Aktualität erhält der Roman durch das, was bei uns in erschreckender Häufung geschieht: Frauen werden ermordet, vergewaltigt durch Männer, deren Geisteshaltung und Verhalten so abstoßend, so fremdartig ist, dass ich mir nicht ansatzweise vorstellen kann, wie jemand so sein kann.

Die reale Basis für diesen Roman ist die Vergewaltigung und Ermordung der damals 17-jährigen Frederike von Möhlmann. Die Umstände und Vorgänge sind dem Verbrechen und dessen Folgen nachempfunden, die handelnden Personen im Roman sind Fiktion. 

Diese Zusammenführung von Realität und Dichtung gelingt Markus Thiele in beeindruckender Art und Weise. Seine bisherigen Romane habe ich alle gelesen, deshalb kann ich sagen “wie zu es zu erwarten war”.

Es ist die Gesetzeslage, die verhindert, dass der Täter zur Verantwortung gezogen werden kann, die zornig und hilflos zugleich macht. Wie Markus Thiele die diesem Umstand zugrunde liegenden Gedanken erklärt, macht deutlich, was die Gesetzgeber damit erreichen wollten. Ob das aber ausreicht, Verständnis für die Vorgänge rund um den Mord an Nina aufzubringen? Für mich persönlich nicht.

Dazu beschreibt Thiele die Gefühle der Beteiligten tiefgründig und berührend, womit in Summe aus „Zeit der Schuldigen“ ein großartiger und bedrückend aktueller Roman wird.




RSS-Feed für Kommentare zu diesem Beitrag 1 Kommentar


  • Kommentar von  Sebastian W. am 15.04.2024 um 09:21 Uhr

    Faszinierend, spannend und sehr gut zu lesen. Auch dieses Buch des Autors regt zum Nachdenken an. Man kann das Buch kaum aus der Hand legen.


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