Buchbesprechung/Rezension:

Stephan Schmidt: Die Spiele

Die Spiele
verfasst am 13.02.2024 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Kriminalromane, Schmidt, Stephan
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

China, Machtpolitik nach außen, Repression nach innen. Das IOC (es könnte auch die FIFA sein) eine Gruppe mit zu viel Macht, deren Mitglieder jederzeit gerne Geschenke empfangen.

Das ist die Bühne, die der Investigativ-Journalist Thomas Gärtner betritt, als er in Shanghai ankommt. Er ist, man könnte es „auf eigene Rechnung“ nennen, unterwegs, einen Auftrag vom Spiegel-Magazin hat er nicht, im Gegenteil weiß dort niemand, dass er in China ist. Gärtner vergisst für seine aktuelle Recherche jede Vorsichtsmaßnahme. Als er für den IOC-Kongress keine Akkreditierung und somit auch kein Visum erhält, reist er mit einem Touristenvisum ein. Als ob der Geheimdienst nicht in kurzer Zeit feststellen könnte, wer er wirklich ist.

Schon zwei Tage nach seiner Ankunft rächt es sich, dass Gärtner ohne Unterstützung und dazu noch mit falschen Angaben bei den Behörden eingereist ist. Sein Kontaktmann beim IOC, ein führender afrikanischer Funktionär der Organisation, wird ermordet. Und es gibt einen beinahe eindeutigen Beweis, dass Gärtner der Mörder ist. Doch er weiß nichts davon, ihm fehlen zwei Tage seiner Erinnerung.

Wie aber soll man das der Polizei in einem Staat begreiflich machen, in dem man von persönlichen Rechten zwar spricht, es diese ab er nicht gibt. Dazu noch die allgegenwärtige Paranoia aller Diktaturen, dass jeder zuerst schuldig ist, bevor sich etwas anderes herausstellt. Gärtner wird nicht nur verdächtigt, ein Mörder, sondern auch ein Spion zu sein. Womit nicht nur die Polizei, sondern auch gleich der Geheimdienst auf den Plan tritt.

Dass zugleich die deutsche Bundeskanzlerin zu einem Besuch in Shanghai erwartet wird, kann gut oder schlecht für Gärtner sein. Für den Moment jedenfalls ist sichergestellt, dass das Konsulat jederzeit Zugang zum ihm bekommt.

Damit aber die Sache nicht einfach für immer im Dunkel irgendeines Straflagers endet, braucht die Story einen Mitspieler, der bereit ist, auch etwas außerhalb der engen Vorgaben zu handeln. Thomas Gärtner hat also Glück, dass der ermittelnde Polizist durch einen lange zurückliegenden Studienaufenthalt in den USA sich zumindest eine freie Denkweise erhalten hat.

Kommissar Frank Luo bezieht in seine Überlegungen zumindest die Möglichkeit mit ein, dass Gärtner tatsächlich unschuldig sein könnte und sein Gedächtnisverlust die Folge einer gezielten Aktion ist. Damit ist er aber der einzige.

In beinahe jeder Beziehung: China liegt am anderen Ende der Welt

Stephan Schmidt lebt in Taiwan und hat damit wohl beste Einblicke in das Innenleben Chinas. Das merkt man bei der sehr pointierten Beschreibung der Gedankenwelt der Protagonisten, ob sie beim Geheimdienst oder der Polizei arbeiten oder ob es die ganz normalen Menschen  sind, die mit einer dieser Behörden zu tun bekommen. Hierarchien und vorauseilender Gehorsam sind bei allen sehr wesentliche Elemente des Alltages und der Lebensweise. Wer eigenständiges Denken wagt, sollte das tunlichst nur mit sich selbst ausmachen, falsche Worte können schnell zu Problem führen. Eine Welt, für Außenstehende schwer bis gar nicht zu verstehen.

Die thematische Einbindung Afrikas findet Stephan Schmidt, wenn er über chinesische Investitionen in Afrika und die daraus entstandenen Abhängigkeiten von schon verschuldeten Staaten gegenüber China schreibt. Was China dort betreibt, das ist nichts anderes als der Kolonialismus des 22. Jahrhunderts.

Nicht nur China, auch das IOC und dessen derzeitiger Präsident Thomas Bach kommen bei Stephan Schmidt nicht gut weg. Aber was soll man bei den obskuren und augenscheinlich von persönlichen Interessen geleiteten Entscheidungen dieser Organisation und den saturierten Apparatschiks, die diese Entscheidungen treffen, denn sonst darüber schreiben …

Mit der Beschreibung der Vorgänge und der Hintergründe erfährt man einiges darüber, wie das Leben in China abläuft, wie ein Land sich der Allmacht der Partei unterordnet und wie sich die Menschen darin einfügen. Das ist verknüpft mit der Erkenntnis, dass man als Europäer nichts, gar nichts als normal ansehen kann, dass vieles ganz anders ist, als wir es gewohnt sind. Man sollte als Gast in China sein eigenes Verhalten hinterfragen, um nicht ins Visier des Staatsapparates zu geraten. Das aber ist oftmals nicht einfach, denn in diesem Land, in dem es schon so viele verborgene Regeln gibt, wird, falls das nicht reicht, einfach eine neue dazu erfunden.

Das erklärt überaus realistisch, warum zwischen China und Europa so viele Hürden gibt.

„Die Spiele“ ist zuerst ein Roman über die aktuelle weltpolitische Lage und an zweiter Stelle ein Kriminalroman (wie es auch auf dem Cover steht). Denn der Verlauf der (Krimi)Handlung ist direkt abhängig von den beschriebenen politischen und wirtschaftlichen Gegensätzen und wäre ohne diese gar nicht erst möglich.

Insgesamt ist sehr aufschlussreich und spannend nachzulesen, wie ohne China auf der Welt nur mehr wenig zu bewegen ist, man mit China aber einen Partner hat, dessen ausgesprochene Worte oft nicht den nachfolgenden Taten entsprechen.

Beides, der Einblick in ein Land, in dem langsam die 1984er-Dystopie Realität zu werden scheint und die überraschende Krimihandlung, ergibt in Summe ein sehr lesenswertes Buch!




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