Buchbesprechung/Rezension:

Wilhelm Kuehs: Dianas Liste
Ein biografischer Roman

Dianas Liste
verfasst am 07.01.2024 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Biographien, Kuehs, Wilhelm
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

„Dianas Liste“ vom Kärntner Autor Wilhelm Kuehs ist ein emotional sehr aufwühlendes Buch, das über die Gräuel an der serbischen und jüdischen Bevölkerung Jugoslawiens während des Zweiten Weltkriegs, die die kroatische Ustascha mit Billigung und Wissen des deutschen Nazi-Regimes verübt haben, berichtet.

Es erzählt aber auch die Geschichte der Diana Budisavljevic , die in den Jahren 1941–1944 Tausende Kinder aus den verschiedenen KZs gerettet hat.

Wer ist sie also, diese Diana Budisavljevic ?

Geboren 1891 als Diana Obexer in Innsbruck, lernt sie während ihrer Ausbildung als Krankenschwester den serbischen Chirurgen Julije Budisavljevic kennen, heiratet ihn und folgt ihm 1919 nach Zagreb, ins damalige Königreich Jugoslawien, das nach dem Untergang der Habsburger Monarchie gegründet wurde. Das Reich, besser bekannt als SHS-Königreich , ist ein künstlich geschaffenes Gebilde, in dem unterschiedlichste Ethnien leben: Slowenen, Kroaten und Serben sowie Bosnier und andere Minderheiten. König Alexander ist serbischer Abstammung und errichtet ab 1928 eine Königsdikatur.

1928 gründet der Kroate Ante Pavelic den rechtsradikalen faschistischen Geheimbund Ustascha und ruft 1941 mit Unterstützung der Achsenmächte (Deutschland, Italien) den unabhängigen Staat Kroatien aus. Unmittelbar danach er- richtete er eine Militärdiktatur, die im Wesentlichen die Gebiete Sloweniens, Kroatiens, Serbiens und Bosnien-Herzegowinas umfasst. Es werden Rassengesetze nach dem Vorbild der Nürnberger Gesetze erlassen, die sich gegen Juden und Roma, aber vorwiegend gegen Serben richten, die kollektiv zu Feinden des kroatischen Volkes erklärt worden sind.

Ein grausamer Genozid beginnt. Um ein ethnisch sauberes Kroatien zu erhalten, werden alle anderen Volksgruppen und insbesondere jene Menschen, die der serbisch-orthodoxen Kirche angehören, verfolgt. Sie werden entweder sofort ermordet oder als Zwangsarbeiter in das verbündete Nazi-Deutschland verbracht. Einigen gelingt die Flucht in die Wälder, wo sie sich den Partisanen anschließen. In Orten und Städten werden wahllos Menschen herausgegriffen und in KZs deportiert. Kinder werden von ihren Müttern getrennt, in Lager gesteckt und sich selbst überlassen. Sie erhalten weder Kleidung noch Nahrung. Tausende sterben an Krankheiten wie Typhus oder verhungern schlichtweg.

Als Diana Budisavljevic von den Zuständen in diesen Konzentrationslagern erfährt, startet sie eine beispiellose Hilfsaktion. Zuerst verteilt sie Hilfsgüter, doch die werden regelmäßig von den Lagerleitern gestohlen. 1942 beginnt sie damit, die Kinder aus den Lagern zu holen. Akribisch katalogisiert sie die Kinder in den Lagern. Ihr großes Ziel ist es, Kinder und ihre leiblichen Eltern nach dem Krieg wieder zusammenzuführen. Doch mit Ende des Krieges, als es darum geht, die Kinder ihren Familien zurückzugeben, erleiden sie und ihr Hilfswerk einen herben Rückschlag. Die an die Macht gekommenen Kommunisten unter Josip Broz Tito lassen ihre Kartothek mit sämtlichen Aufzeichnungen konfiszieren.

Diana Budisavljevic verlässt Jugoslawien krank und enttäuscht. Ihre letzten Lebensjahre verbringt sie in Innsbruck, wo sie 1978 stirbt.

Meine Meinung:

Ich habe schon viele Bücher über ethnische Säuberungen und Kriegsgräuel gelesen, doch dieses hier zeigt, wie Fanatiker unendliches Leid über Menschen bringen. Es zeigt aber auch, wie selbst Einzelne über sich hinauswachsen können.

Mit diesem Buch setzt Autor Wilhelm Kuehs einer wirklich großen Frau, die rundherum beinahe vergessen ist, ein Denkmal. Der Titel ist jenen akribisch geführten Listen Dianas geschuldet, die Karteikarten für jedes Kind anlegt, um die Familien (oder was davon noch übrig ist) zusammenzuführen. Er erinnert aber auch an das Buch „Schindlers Liste“, das von Hollywood-Regiesseur Steven Spielberg 1993 verfilmt worden ist.

Je tiefer ich in das Kuehs‘ Buch versunken bin, desto wütender bin ich geworden. Dass von den kroatischen Machthabern, als Auftraggeber der Morde, keine Hilfe zu erwarten ist, ist klar. Was aber ist von Rot-Kreuz-Schwestern zu halten, die vor Freude tanzen, wenn wieder Hunderte serbische Kinder an Seuchen und Unterernährung gestorben sind? Was geht in diesen Menschen vor?

Was ist mit der katholischen Kirche? Bis auf wenige Ausnahmen nur Lippenbekenntnisse. Ja im Gegenteil, einige besonders grausame Lagerleiter sind katholische Ordensbrüder. Was ist mit dem Erzbischof von Zagreb, Alojzije Stepinac, der allen, die zur katholischen Kirche konvertieren, Schutz angeboten hat? Er hat die Konvertiten letztlich doch den Mördern ausgeliefert. Christliche Nächstenliebe sieht anders aus. Stepinac wird übrigens 1998 von Papst Johannes Paul II. als Märtyrer seliggesprochen. Auch eine fragwürdige Entscheidung.

Umso bewundernswerter ist es, dass Diana trotz aller Widerstände, trotz aller Bedrohungen für sich und ihre Familie an ihrer Mission festgehalten hat. Aufgrund ihrer Tagebuchaufzeichnungen, die Dianas Enkelin in den 1980-er Jahren zufällig auf dem Dachboden des Zagreber Hauses ihrer Großmutter findet, können Rückschlüsse gezogen werden, dass durch diese selbstlose Aktion rund 12.000 Kinder, darunter zahlreiche jüdische und Roma Kinder aus den Todeslagern Jasenovac, Loborgrad und Stara Gradiška gerettet worden sind. Diese Kinder sind auf zahlreiche Pflegefamilien aufgeteilt worden. Dass nicht alle dieser Pflegefamilien aus reiner Nächstenliebe gehandelt haben, braucht vermutlich nicht extra erwähnt werden. Einige wollten Geld für die ihnen anvertrauten Kinder, andere missbrauchten sie als billige Arbeitskräfte.

Im Nachwort beschreibt Autor Wilhelm Kuehs die Schwierigkeiten, an Originalquellen zu kommen. Die Originale der Tagebuchaufzeichnungen sind öffentlich nicht zugänglich. Das, was veröffentlicht wurde, wurde gekürzt und ist daher wissenschaftlich nur bedingt verwendbar. Die Karteikarten wurden 1945 beschlagnahmt und wahrscheinlich mit andern Aufzeichnungen gemischt. Dieser Probleme wegen hat Wilhelm Kuehs diese Hommage an Diana Budisavljevic als „biografischen Roman“ bezeichnet.

Offizielle Ehrung und Anerkennung lassen lange auf sich warten. Erst 2010, mehr als dreißig Jahre nach ihrem Tod, wurde ihr humanitäres Engagement in Innsbruck bekannt. Sie erhält posthum einen serbischen und einen Tiroler Orden. Ihr Geburtshaus mit der Aufschrift OBEXER-HAUS befindet sich in der Maria-Theresien-Straße in Innsbruck. Als Würdigung für das humanitäre Engagement während des Zweiten Weltkriegs wurde am 7. April 2021 am Haus eine Gedenktafel durch die Stadt Innsbruck enthüllt. In Innsbruck wird ein Kindergarten nach ihr benannt, in Wien erinnert der Diana-Budisavljevic-Park im 9. Bezirk an diese mutige Frau.

Fazit:

Ein erschütternder Bericht, wozu Menschen fähig sind – im Schlechten wie im Guten. Gerne gebe ich 5 Sterne und eine absolute Leseempfehlung.




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