Buchbesprechung/Rezension:

Mark Twain: Ein Yankee an König Artus' Hof

Ein Yankee an König Artus' Hof
verfasst am 01.08.2019 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Romane, Twain, Mark
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Für viele von uns ist es wahrscheinlich ein Traum, für dessen Erfüllung sie alles möglich tun würden: zurück in die Vergangenheit zu reisen, dort ein paar Tage zu verbringen, inmitten der Menschen und Ereignisse zu leben, die wir nur aus den Geschichtsbüchern kennen.

Mark Twain erzählt in “A Yankee in King Arthur’s Court” genau darüber; wie der Yankee Hank Morgan aus Connecticut aus dem 19. Jahrhundert kommend in der Vergangenheit landet. Genau ist es der 19. Juni 528, wie ihm ein Junge berichtet und es ist England – er ist in Camelot gelandet, am Hof des König Artus.

Die Umstände seiner Zeitreise sind banal, denn es war ein gewöhnlicher Schlag auf den Kopf, keine ausgetüftelte H.G.Wells-Konstruktion, die ihn dorthin brachte.

Es hätte auch ein kurzer Ausflug in die Vergangenheit werden können, denn wie er so ein wenig ratlos dasteht in seinem fremdartigen Gewand, gerät er ins Visier eines Ritters, der ihn gefangen nimmt. Sein weiteres Schicksal wäre nun vorgezeichnet: der Ritter präsentiert der Tafelrunde seine Beute und berichtet in schillerndsten Farben mit welchen Heldentaten er den Fremden überwältigt hätte; dann folgen Verließ und Hinrichtung. Ganz klar vorgezeichnet für die Zeitgenossen, nicht akzeptabel aber für Hank Morgan.

Aus seinem Wissen, dass er aus der Zukunft mitbrachte, kann er den staunenden Publikum einen gewaltigen Zauber vorführen. Statt einer Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen bekommen sie nun einen Sonnenfinsternis zu sehen. Denn Morgan kann sich an das Datum, welch ein Zu- und Glücksfall, erinnern und dass just in diesem Tagen eine solche stattfand. Volk, Adel und König sind zu Tode erschrocken und Hank Morgan hat seinen Ruf als großer Zauberer (was ihn zum Feind des wohlbekannten Merlin macht und zu einer andauernden ewigen Feindschaft führt).

Morgan ringt dem König die Zusage ab, als dessen oberster Ratgeber ab sofort die Geschicke des Reiches zu lenken, dann würde der Zauber verschwinden und die Sonne wieder erscheinen. So geschieht es und er macht seine Arbeit so gut, dass er vom Volk schon bald einen eigenen Ehrennamen erhält. Er ist “Der Boss”.

Die Angst vor der Sonnenfinsternis ist nur das erste Beispiel für den Aberglauben und die Leichtgläubigkeit der Menschen des 6. Jahrhunderts. Vom König bis zum Gesinde leben alle in einer Zeit, in der durch unerklärliche Naturphänomene und gezielte Steuerung vor allem durch die Kirche die Welt voller Rätsel, Wunder und Zauberei zu sein scheint. Für einen Menschen, der 1.300 Jahre aus der Zukunft kommt, ist es also leicht, sein Wissen einzusetzen, um alle und alles in die von ihm gewünschte Richtung zu beeinflussen und zu leiten.

Mark Twain lässt eine Welt voller Geheimnisse und Abenteuer, aber auch voller Gewalt und Ungerechtigkeit erstehen. Die Herkunft entscheidet über den Lebensweg, oben bleibt oben und unten bleibt unten. Eine kleine Gruppe des Adels hat absolute Gewalt über die Mehrheit der Bevölkerung, die als Sklaven oder völlig von den Grundherren Abhängige ein schlichtes Leben zu führen hat. Bigotterie und Aberglaube und Willkür regieren.

Aus Twains Sicht hat sich in seiner Gegenwart des späten 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten die bestmögliche Staatform entwickelt. Die Demokratie, in der jeder alles werden kann und in der niemand in ein bestimmtes Leben gezwungen wird. Aus dieser Position der scheinbar unendlichen Überlegenheit überschüttet er die Ritter des 6. Jahrhunderts mit beissendem Spott und lässt kein gutes Haar an der damaligen Lebensweise. Das führt zu teils urkomischen Situationen, bei denen man oft lauthals lachen muss. Doch Vorsicht: dem Lachen kann urplötzlich im nächsten Absatz die Schilderung eines menschenverachtenden Geschehens folgen, die uns das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Hank Morgan macht seinen Job als oberster Berater des König ausgezeichnet. Schritt für Schritt führt er Neuerungen ein, die ohne sein Zutun erst viele Jahrhunderte später erfunden worden wären. Er lässt Schulen für das gemeine Volk erreichten, Die Elektrizität und das Telefon (zu Twain Lebzeiten auch noch nicht so lange bekannt) werden eingeführt und der Staatshaushalt wird saniert. Das und viel mehr passiert zuerst noch im Verborgenen, um das Volk nicht zu überfordern.

Die von Morgan begonnenen Entwicklungen erfassen aber nur die äußeren Umstände des Lebens der Menschen. Als er für einige Zeit das Land verlässt kommt jedoch wieder die dunkle Seele derer, die er mit seinen Reformen bedrängt hat, an die Oberfläche. Die Kirche, die Zauberer, der Adel – sie alle können in Abwesenheit des Bosses die Neuerungen als Teufelswerk verdammen und die Entwicklung wieder umkehren. Hank Morgan hatte mit all seinen Innovationen nur das Äußere verändert, das Innere der Menschen, ihre Ängste und die über Generationen angelernte Hierarchie aber blieben unangetastet.

Nun hat Mark Twain wohl ein Bild seiner eigenen Zeit, die ihn nur das Positive sehen lässt. Das, was in Wahrheit das 19. Jahrhundert nur wenig vom frühen Mittelalter unterscheidet, rückt in den Hintergrund. Sklaven gab es im Mittelalter und die Befreiung der Sklaven im Sezessionkrieg lag bei Erscheinen des Buches auch erst 25 Jahre zurück; eine Befreiung, der überdies nun eine andere Form der Abhängigkeit und Unterdrückung folgte. Die Leibeigenschaft des Mittelalters war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der modernen Sklavenhaltung des Industriezeitalters gewichen, bei der unter dem zügellosen Kapitalismus die Arbeitskraft der Menschen ohne Scham und Moral ausgebeutet wurde. Nur zwei Beispiele, die zweifeln lassen, ob es denn in Summe überall besser geworden wäre – wobei die Fortschritte in Medizin und Wissenschaft natürlich unbestreibar sind, jedoch die Politik und die Gesellschaft, so viele Jahrhunderte nach Twains Camelot, noch immer keine wirklichen Veränderungen zum Besseren erlebten.

Was würde Mark Twain wohl sagen, säße er heute, im Jahr 2019, unter uns und würde erneut die Zeiten miteinandern vergleichen? Und wie würde er die Lage in diesen unterschiedlichen Zeitaltern wohl bewerten?

“Ein Yankee an König Artus’ Hof” ist für mich nicht nur ein vor Ideen und Originalität sprühender Roman. Es ist für mich vor allem ein Buch, das den Vergleich von Vergangenheit und Gegenwart nahezu herausfordert, ganz egal, in welchem Jahr es gelesen wird.




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