Buchbesprechung/Rezension:

John Hersey: Hiroshima

Hiroshima
verfasst am 23.03.2023 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Geschichte, Hersey, John
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Im  4. Jahr des Krieges, den Japan gegen die Vereinigten Staaten begonnen hatte, geschah das Undenkbare. Nach den unzähligen Bombenangriffen im ganzen Land, die schon ungeheure Schäden und unzählige Menschenleben gekostet hatten, detonierte über der bisher von größeren Schäden verschonten Stadt Hiroshima, im Süden der japanischen Hauptinsel Honshu, eine Atombombe.

“Little Boy” hieß die Bombe, weil die Amerikaner so gerne den Dingen einen Namen geben, und es war der 6. August 1945. Rund 300.000 Menschen bevölkerten die Stadt, in den ersten Sekunden starb rund ein Drittel von ihnen, ein weiteres Drittel bis Ende des Jahres.

In dieser Hölle überlebten Menschen, auch wenn die Bilder von der Verwüstung es kaum glauben ließen. Von dem, was diesen Menschen widerfuhr, berichtet John Hersey in seiner Reportage aus dem Jahr 1946.

Es ist eine nüchterne, detaillierte Chronik dieses Tages und der folgenden. Was einzelne der Bewohner an diesem gerade begonnenen Tag – es war kurz nach 8 Uhr morgens – taten, wo genau sie sich aufhielten, wie sie den grellen Blitz, der in aller Stille erschien, erlebten. Es ist unerwartet zu lesen, wie nahe viele dieser Menschen der Explosion waren und dennoch zunächst überlebten (wenn man die Bilder von Hiroshima nach der Explosion sieht, dann ist es schier unglaublich, dass es dort noch irgendein Leben gab). Nachzulesen sind aber auch die genauen Opferzahlen, jedenfalls so weit man überhaupt in der Lage war, die Opfer, die Toten und Verwundeten zu finden und zu zählen.

Man muss sich vor Augen halten, dass zu diesem Zeitpunkt niemand in Hiroshima auch nur die leiseste Ahnung hatte, was geschehen war, welches Ausmaß und welche Folgen die Explosion haben würde. Niemand wusste, was eine Atombombe war, es hatten doch schon die Brandbomben in den aus Holz gebauten Städten Japans ungeheure Schäden angerichtet und dies war noch ungeheuerlicher.

Es gab keine Vorwarnung, alles passierte aus heiterem Himmel. Wir heute wissen, in welchen Wellen die Zerstörungen – Druckwelle, Feuer, Radioaktivität – nach der Detonation heranrollen, damals war das noch völlig unbekannt. Man möchte den Menschen, als sie gerade den Schock der Druckwelle überwunden hatten, zurufen, dass es noch nicht vorbei ist, dass sie so schnell wie möglich von dort weglaufen sollten.

Hersey verfolgt in seiner Reportage das Schicksal einiger Überlebender. Er beschreibt nicht nur, was ihnen zustieß, sondern auch, was sie sahen, was sie dachten, was sie glaubten, dass geschehen war. Wie sie helfen wollten, es aber so viel zu tun gab, dass man nichts zu Ende bringen konnte. Wie schrecklich die Verletzungen waren, mit denen die Verwundeten überzogen waren. Wie es langsam Gewissheit wurde, dass den meisten Opfern nicht zu helfen war. Wie viele auch der nur leicht Verletzten nicht ahnen konnten, dass auch sie nicht mehr lange zu leben hatten.

Will man die Hölle beschreiben, dann kann man dafür Teile aus dieser Reportage verwenden

Erst nach dem Erscheinen von John Herseys Reportage begann man in den USA über den Einsatz der Atombomben nachzudenken. Davor war es in der öffentlichen Wahrnehmung wohl einfach die Wunderwaffe gewesen, die Japan zur Kapitulation gezwungen hatte. Über die Folgen waren sich die meisten Amerikaner zunächst sicher nicht bewusst, im Gegenteil konnte man sich als Führungsmacht des Planeten feiern.

Die Reportage, mit ihrer schonungslosen, manchmal richtiggehend brutalen Schilderung der Folgen, sorgte dafür, dass es einer breiten Öffentlichkeit bewusst wurde, dass man die Büchse der Pandora geöffnet hatte.

Das fünfte Kapitel

In der ursprünglichen Ausgabe noch nicht enthalten war das Kapitel “Die Nachwirkungen“. Dieses wurde im Jahr 1985 hinzugefügt und beinhaltet den Bericht über die langfristigen Folgen – für die Betroffenen, wie auch für die ganze Welt. Hersey verfolgte das Leben einiger der Bewohner der Stadt, über die er schon 1946 berichtet hatte, in den nachfolgenden Jahrzehnten.

Diese vorliegende Ausgabe aus dem Verlag Jung und Jung ist die erste vollständige Fassung in deutscher Sprache.

Seit dem Jahr 1945 weiß die Menschheit, welche apokalyptischen Folgen die Detonation einer Atombombe hat. Und dennoch: es gibt auch im Jahr 2023 machtsüchtige Despoten, die damit drohen, Atombomben einzusetzen; wohl wissend, dass man damit nicht nur andere, sondern am Ende auch immer sie selbst und die eigene Bevölkerung trifft. Aber das scheint den gewissenlosen Herren in Pjöngjang und Moskau egal zu sein.

Hiroshima war letztendlich nicht nur ein einzelnes Ereignis des Jahres 1945, es wurde zum Synonym dafür, dass die Menschheit aus Jahrtausenden der Gewalt keine Lehren ziehen konnte.

Das Buch hat in den 77 Jahren seit der Erstveröffentlichung nichts von seiner Wirkung verloren, ist eine Wiederholung der darin so präzise beschriebenen Katastrophe heute doch ebenso möglich wie damals und in den dazwischen liegenden Jahrzehnten.




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