Buchbesprechung/Rezension:

Nathalie Boegel: Berlin - Hauptstadt des Verbrechens
Die dunkle Seite der Goldenen Zwanziger

Hauptstadt des Verbrechens
verfasst am 17.09.2018 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Boegel, Natalie, Geschichte
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Die Weimarer Republik überdauert nur 14 Jahre – 14 turbulente, verwirrende, chaotische Jahre. Zwischen Revolutionen und Inflation, Gewalt und Ausschweifungen erlebten die Menschen ein stetes Auf und Ab.

Berlin war dabei der Brennpunkt innerhalb Deutschlands, in keiner anderen Stadt des Landes lebte es sich in dieser kurzen Zeitspanne auch nur annähernd so intensiv.

Es muss wohl an den mit einem Schlag völlig neuen Verhältnissen im November 1918 gelegen haben: vier Jahre Krieg sind vorbei, der Kaiser ist weg, etwas Fremdes mit dem Namen Demokratie definiert mit einem Mal die Politik. An dieser Demokratie zerren vom ersten Tag undemokratische Kräfte, zuerst von links und rechts, bald aber immer mehr nur von rechts – so lange, bis die erste Demokratie auf deutschen Boden zerstört ist.

Befreit von alten Zwängen und von keiner Staatsmacht mehr in enge Regeln gezwängt, loten die Menschen jeden Bereich ihres Lebens aus, so weit es eben nur geht. Die alten Konventionen gelten nicht mehr, die ganze Gesellschaft ist im Umbruch und macht sich mit Riesenschritten auf in eine neue Zeit. Doch die Armut ist erschreckend (für uns nicht vorstellbar) und Millionen von Menschen haben keine Perspektive, leben von der Hand in den Mund. Es regieren Vergnügungen, Drogen, Verbrechen: denn wenn man nicht weiß, was morgen geschehen wird, dann muss man heute alles erleben. Am Ende wird all dies in der Hölle der Naziherrschaft untergehen.

In diesem Buch geht es nicht nur um einzelne Verbrecher und ihre Taten, es geht auch um das Verbrechen an sich und wie es sich zwischen 1919 und 1933 beinahe ungehindert ausbreiten konnte. Wobei – siehe oben – es nicht nur um die klassichen Kriminalfälle sondern auch um die politischen geht.

Man liest über berühmt und berüchtigt gewordene Verbrecher, über die Syndikate, die in Berlin als Ringvereine bekannt waren und die Stadt beherrschten, Straßenschlachten zwischen den Nazis und allen, die den braunen Horden nicht zu Gesicht standen, über Korruption und verschwimmende Grenzen zwischen der Justiz und dem Verbrechen, einen gewissen Joseph Goebbels, der die Massen verhetzten konnte wie kein anderer und die Schlägertrupps der SA, die Goebbels skrupellos einsetzte. Aber auch über die neuen Methoden der Polizei, erfunden und eingeführt vom  legendären Kriminalisten Ernst Gennat.

Das Buch liefert ein ungemein plastisches Bild der Zeit, man kann sich beinahe Hineinleben in die 1920er und 1930er-Jahre. Zusammengefügt aus kurzen,10-20 Seiten langen Episoden lebt das Berlin der Weimarer Republik tatsächlich auf, die Ausschweifungen und die Zügellosigkeit lassen sich beinahe spüren.

“Berlin – Hauptstadt des Verbrechens” ist ein Geschichtsbuch, das sich der Form der Reportage bedient. So wie Nathalie Boegel diese Reportagen schreibt, kann man sich die Zeit vorstellen und einen guten Teil der Atmosphäre und der Lebensumstände in Berlin vor 100 Jahren miterleben. Damit spricht dieses Buch mit Leichtigkeit ein breiteres Lesepublikum an, als es eine rein historische Betrachtung vermag: spannend, erhellend und unbedingt empfehlenswert.

PS: Der Verweis auf Volker Kutschers Gereon Rath-Romane steht gleich im Vorwort und tatsächlich findet man zu einigen Themen, die Kutscher in seinen Romanen aufgreift, sehr interessante zusätzliche Informationen.

PPS: Der damals geprägte Satz “Der Feind steht rechts” ist unglaublicherweise heute so aktuell wie damals. Wenn jemand die Demokratie gefährden kann, dann die rechten und rechtsextremen Gruppen, die es heute, aller brutalen Erfahrungen zum Trotz, schon wieder in die Parlamente und Regierungen Europas geschafft haben.




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