Buchbesprechung/Rezension:

Marina Münkler: Anbruch der neuen Zeit
Das dramatische 16. Jahrhundert

Anbruch der neuen Zeit
verfasst am 27.03.2024 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Geschichte, Münkler, Marina
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Das 16. Jahrhundert liegt, mehr oder weniger, ein halbes Jahrtausend in der Vergangenheit. Ein Zeitraum, in dem die Welt sich völlig veränderte.

Es war eine Epoche, die einen Übergang vom Alten zum Neuen markierte, in der alte Dogmen infrage gestellt wurden, neues Wissen entstand und der Blick auf die Welt sich insgesamt änderte – und das gleich in vielfältiger Weise.

„Anbruch der neuen Zeit“ ist eine globale Chronik des Jahrhunderts aus europäischer Sicht, in der Marina Münkler die Geschichte der Ereignisse in den Weltgegenden gegenüberstellt und so deutlich wird, was wann und wo gleichzeitig geschah. Wobei der Begriff „Jahrhundert“ nicht im Sinne eines Kalenders zu verstehen ist, sondern durch nachhaltig bedeutsame Vorgänge definiert wird.

Marina Münkler analysiert das Geschehen jeweils aus mehreren Blickrichtungen: mit den historischen Fakten, mit der Betrachtung der Intentionen der Herrschenden, in ihrer Wirkung auf die Gesellschaft und wie Zeitgenossen dazu Stellung bezogen.

Drei Schwerpunkte sind: Entdeckungen und Eroberungen – Von Kolumbus bis Vespucci, die Konquistadoren eroberten ein Land nach dem anderen. Reformation – Luther nagelte seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg. Glaubenskriege(r) – Die Türken stürmten im Zuge der Expansion des Osmanischen Reiches erstmals gegen Wien. Das geschah alles innerhalb weniger Jahre.

Der Beginn der Epoche:
Entdeckungen und Eroberungen.

Zum Ende des 15. Jahrhunderts brachen Entdecker auf die Weltmeere auf, um neue Wege zu entfernten Zielen zu erkunden. Abenteurer wie Christoph Kolumbus waren zu Beginn Entdecker, doch bald wurden sie Eroberer, wie die berüchtigten Konquistadoren in Mittel- und Südamerika, die ganze Kulturen zerstörten und ganze Völker unterjochten. Mit den Ursachen dafür, wie es zu diesem Aufbruch kam, der den Start zur späteren Kolonisierung Afrikas, Asiens und Amerikas markierte, beschreibt das Buch auch einen weniger bekannten Aspekt der Geschichte Europas.

Ein umfangreiches Kapitel ist den Motiven und Rechtfertigungen der Eroberer gewidmet, fremde Länder in Besitz zu nehmen und die Menschen zu unterjochen und zu versklaven. Eine für mich unglaublich spannende (und zugleich erschütternde) Dokumentation über die Denkweise in der damaligen Zeit. Wenn auch in zunächst noch sehr diffuser Weise, so entstand in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts das, was die Grundlage für unser heutiges Völkerrecht wurde.

Ein Bruch in der Geschichte:
Der Fall von Byzanz.

Während sich Spanier und Portugiesen rund um den Globus Stückpunkte schufen, geriet das christliche Europa von Osten her unter Druck. 1453 eroberten die Osmanen das alte oströmische Byzanz, womit das Tor nach Europa offen stand.

Die Expansion ist im 16. Jahrhundert noch im Gang und kriegerische Auseinandersetzungen nehmen zu.

Anhand von Auszügen aus historischen Dokumenten ist nachzulesen, wie die Europäer es zunächst verabsäumten, Byzanz zu Hilfe zu kommen und welche Folgen es dann hatte, dass eine islamische Macht sich anschickte, Teile von Europa zu besetzten. Wenn die Europäer vor dem Fall von Byzanz mannigfaltige Gründe fanden, keine Unterstützung zu geben, so war im Nachhinein die Furcht vor einer weiteren Expansion des Osmanischen Rieche umso tiefer.

Die Einschätzung der Gegner, die Furcht und die davon geprägte Haltung gegenüber den Fremden, die in eine Dämonisierung der Osmanen mündete, zeigen ein sehr deutliches Bild von der Meinungsbildung in den europäischen Reichen. Die christliche Sicht ist der eine Teil dieses Kapitels und vor allem in Österreich wegen der ersten Türkenbelagerung Wiens ein fester Bestandteil des Geschichtsunterrichtes.

Was aber, jedenfalls mir, weit weniger geläufig war, das ist die Geschichte des Osmanischen Reiches, dessen Entstehung, Expansion und wodurch dieser Expansion Grenzen gesetzt waren. Mit der detailreichen Beschreibung des Staatswesens, der politischen und militärischen Strukturen, ist der andere Teil des Kapitels eine kompakte Geschichte der Anfangszeit der über Jahrhunderte den östlichen Teil des Mittelmeeres dominierten Macht.

Kirchenspaltung

Zu den Vorgängen an den Rändern des Kontinents kam im Jahr 1517 Luthers Aufstand gegen die in Korruption und Machtmissbrauch versunkene katholische Kirche.

Was führte zu Luthers in den Verhältnissen der damaligen Zeit beinahe selbstmörderische zu nennende Aktion in Wittenberg, wie konnte er der zu erwartenden Verurteilung und Hinrichtung entgehen? Wer waren Luthers Unterstützer und was waren deren Beweggründe? Wie verbreitete sich Luthers Botschaft und welche Wirkung aus Auswirkung hatte es auf die Kirchen, zunächst in Europa? Und, das darf man nicht vergessen, was waren seine dunklen Seiten?

Wie in den vorangegangenen Kapiteln sind die weitgehend bekannten historischen Fakten mit vielen Hintergrunddetails ergänzt, was ein tieferes Verstehen der Vorgänge ermöglicht.

Mit diesem Themenkreis Glaube, Kirche, Religion schließt sich der Kreis mit den beiden anderen Hauptthemen des Buches. Denn Religion war sowohl in den neu eroberten Ländern als auch in der Konfrontation mit dem Osmanischen Reich zugleich Antrieb als auch Begründung für Auseinandersetzung und oft ausufernde Gewalt.

Der Beginn unserer Gegenwart

Drei Ereignisketten, die nachhaltige Auswirkung auf die kommenden Jahrhunderte und bis heute haben. Marina Münkler beschreibt, analysiert und kommentiert damit natürlich nur einen Teil des Weltgeschehens im betrachteten Zeitraum. West- und Nordeuropa, Afrika, Süd- und Ostasien sind nur dann Teil des Buches, wenn sich Überschneidungen mit den drei zentralen Themen ergeben.

Die Welt wurde für die Menschen in Europa im Laufe des Jahrhunderts immer großer, mit neuen Entdeckungen füllten sich die leeren Flächen auf dem Globus. Das illustrieren die beiden Karten im Anhang sehr übersichtlich.

Fasst man den Inhalt des Buches sehr verkürzt zusammen, dann wird man feststellen, dass sich in zentralen Aspekten seit dem 16. Jahrhundert wenig geändert hat.

Die Namen der Protagonisten sind andere, Wissenschaft, Technik und Kommunikation haben sich weiterentwickelt, die Auseinandersetzungen selbst aber haben in ihrem Kern nicht zu übersehende Ähnlichkeit mit dem, was im jetzt, 21. Jahrhundert vor sich geht. Expansion auf Kosten unzähliger Menschenleben, verkrustetes Denken, das Konflikte und Geisteshaltungen am Leben erhält, deren Ursprung kaum noch jemand kennt. Ablehnung von Unbekanntem, ohne es zu hinterfragen. Herrscher, die zur Befriedigung ihres Geltungsdranges und ihrer Gier zu jeder Gewalt bereit sind. Die Liste lässt sich noch fortsetzen.

Am Ende habe ich viel Neues erfahren und verstehe vor allem einige Zusammenhänge besser als zuvor.

Wenn damit deutlich wird, wie wenig sich das Verhalten der Menschen insgesamt in den zurückliegenden Jahrhunderten zum besseren gewandelt hat, ist das vielleicht nicht die erste Intention dieses Buches, dennoch aber eine sehr erschreckende Erkenntnis.




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