Buchbesprechung/Rezension:

Joseph Roth: Die hundert Tage
Die Heimkehr des großen Kaisers | Das Leben der Angelina Pietri | Der Untergang | Das Ende der kleinen Angelina

Die hundert Tage
verfasst am 20.08.2023 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Historische Romane, Roth, Joseph
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Das erste Kapitel beschreibt einen immer wiederkehrenden Vorgang der Geschichte so klarsichtig, dass es beinahe schon erschreckend ist. Wie nämlich Menschen gerade denjenigen blind nachfolgen, die gewalttätig und gewissenlos sind.

Hier geht es um Kaiser Napoleon Bonaparte, aber Roths Schilderung der Rückkehr an die Macht – nach dem selbstgewählten Exil auf Elba – könnte mit wenigen Abänderungen auch von Hitler, Mussolini, Caesar, oder Trump handeln. Einer, der in selbstverliebter Weise nur seine eigene Macht vor Augen hat, genießt die Zuneigung der Massen, ganz gleich, was er tut.

In Napoleons Fall wird er von den Bürgern von Paris bei seinem Einzug bejubelt, obwohl doch alle wissen, dass er über beinahe jede Familie im Land den Tod gebracht hat, als er wegen seines Größenwahns in den Krieg mit allen Nachbarn zog, als er auszog, um Herrscher der Welt zu werden.

Und jetzt kehrt er zurück. Und sie stehen Spalier, weil sie es sich haben einreden lassen und es auch glauben, Teil von etwas Großem und deshalb auch selbst groß zu sein.

Die historischen Fakten dazu kann man nachlesen, Joseph Roth nimmt die aber nur als Gerüst und Hintergrund, um über anderes zu schreiben.

Die immer auf Krieg ausgerichteten Gedanken Napoleons lassen ihn, kaum zurückgekehrt, das Land umgehend wieder auf die Auseinandersetzung mit dem Rest der Welt ausrichten – die Marseillaise als Schlachtruf der ganzen Nation. Der Kaiser ist sich der Macht seiner Worte, seiner Demagogie und seines bis ins Detail durchgeplanten Auftretens bewusst. Was immer es kosten mag, er treibt das ganze Volk in neuen Schlachten.

Der Wahn eines einzelnen wird zur Bewegung der Massen: Wie sich diese Geschichte doch wiederholt, wie oft sie sich noch wiederholen wird.

Joseph Roth beschreibt eine Szenerie, die in so unglaublicher Weise auch an unsere Gegenwart erinnert. Den Verführern wird fanatisch glaubt, denen, die die Wahrheit verbreiten wollen, nicht. Hätte es das Wort “Lügenpresse”, den Schlachtruf der Rechtsextremen damals schon gegeben, das Volk hätte ihn denen entgegen gebrüllt, die gegen den Krieg waren (Man möge sich dazu Aufnahmen von Veranstaltungen des Donald Trump ansehen).

Waffen werden produziert, jungen Männer werden zur Armee einberufen, abweichende Meinungen  behält man schon wieder besser für sich, denn jemand könnte das an die von Joseph Fouché befehligte Polizei verraten.

Als der Roman entstand …

Roth befand sich seit dem Jahr 1933 im Exil in Frankreich, wohl mit ein Beweggrund, diesen Roman über den Nationalhelden Frankreichs zu verfassen. Zugleich waren die 1930er-Jahre das Zeitalter der rücksichtslosen Diktatoren, die Menschenmassen in unzählige Schlachten trieben. Sein Bildnis und seine Bewertung Napoleons werden sicherlich auf von dieser damals gegenwärtigen Weltlage beeinflusst sein.

Der Roman besteht aus vier Teilen, die mehr oder weniger lose zusammenhängen. Vom Aufstieg Napoleons, der Bewunderung und Liebe, die ihm entgegengebracht werden wird, seiner Rückkehr zur Macht, zur Niederlage bei Waterloo und seinem endgültigen Exil: Joseph Roth entzieht dem Kaiser der Franzosen jegliche heroische oder visionäre Eigenschaft, entzaubert ihn gewissermaßen, und macht aus ihm eine der vielen Figuren der Geschichte, die um der eigenen Macht willen das Leid anderer verursachen.

In Form und Sprache etwas langatmig, vor allem dann, wenn Joseph Roth sich stilistisch einer sehr ähnlichen verschlungenen Sprache bedient, die beispielsweise auch in Heinrich Manns Romanbiografien von Heinrich IV das Lesen erschwert.




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