Herta Müller: Der Beamte sagte
Autorin/Autor: Müller, Herta
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Wie Wörter, deren Buchstaben man vertauscht oder geändert hat und das man trotzdem versteht, weil es unser Gehirn schafft, den Sinn zu sehen; so ist dieses Buch. Als Collagen bezeichnet es der Klappentext, das Wort “Komposition” scheint mir persönlich weit passender zu sein.
Wobei: Collagen sind es natürlich auch, denn die Wörter sind wie ausgeschnitten aus Zeitungen, Schnipsel wie auf einem Erpresserbrief, nun als Literatur.
Herta Müller, so scheint es mir, hat ihre Gedanken niedergeschrieben, daraus danach die Satzzeichen und einige Wörter entfernt (mit Vorliebe die am gedachten Satzanfang) und es an den Verlag geschickt. Wer will, wird es verstehen, so mögen es sich Autorin und Verlag dann gedacht haben, als das Buch entstand.
Es braucht also ein paar Seiten, sich auf den Rhythmus dieser Komposition einzulassen. Es Erzählung zu nennen, wie es auf dem Cover steht, finde ich unpassend, fehlen doch durchgehend ganz wesentliche semantische Elemente. Diese fügt man, hat man sich einmal daran gewöhnt, aufmerksam selbst ein.
Mit diesem Buch löst sich die Literatur-Nobelpreisträgerin von 2009 gänzlich von gewohnten Literaturformen.
Der durchgehende Rote Faden wäre ohne den Klappentext nur schwer auszumachen; es ist also dringend zu empfehlen, diesen Einleitungstext zu lesen, denn dann erscheint alles klarer und verständlicher. Einfacher zu verstehen ist, dass der jeweils kurze Text auf den einzelnen Seiten sowohl im Gesamt-Zusammenhang als auch völlig für sich alleine gelesen werden kann (jedenfalls meistens). Jede Seite ist wie eine Strophe eines Gedichtes. Schlägt man nun eine beliebige Stelle im Buch auf, so ist es sehr wahrscheinlich, dass der darauf zusammengestellte Text, für sich alleine betrachtet, schon Sinn ergibt; dass der klug, verstörend, verwirrend oder humorvoll ist und man in Wirklichkeit gar nicht wissen muss, in welchem größeren Zusammenhang diese Strophe steht.
Und wo ist er nun, der Rote Faden?
Fragmentarisch, als ob immer wieder die Stimme versagt, ist es die Geschichte einer Begegnung mit der Staatsmacht, mit seinen Beamten in einem Auffanglager. Der Beamte Fröhlich, Prüfstelle B, stellt die Fragen. Woher sie, die Befragte komme, was hatte sie zur Emigration bewogen, was gibt es von dort, wo sie herkam zu berichten. Angesiedelt ist das alles irgendwo in Deutschland, ein Rückblick auf Herta Müllers Lebensumstände von ihrer Emigration aus Rumänien in den Westen im Jahr 1987, und beschreibt, wie es war, wie es sich anfühlte, im gelobten Westen anzukommen. Denn Herta Müller landete zunächst in diesem Auffanglager, weil man sie im Verdacht hatte, eine Sympathisantin des Ceaușescu-Regimes zu sein.
Aus der Unfreiheit hinter dem Eisernen Vorhang in das Verhörzimmer eines Landes, das von der anderen Seite aus so frei und verheißungsvoll erscheint. Die Verhöre glaubt man hinter sich gelassen zu haben, aber nun fragt der Beamte nach so vielen Details aus der eigenen Vergangenheit.
Über jeden Zweifel erhaben ist der hohe Aufwand, mit dem dieses Buch hergestellt wurde; was aber den Inhalt betrifft, werden sich die Geister wohl scheiden. Kein Lesebuch im üblichen Sinn, mehr ein Gedankenbuch für Menschen, die bei der Literatur auf formale Klarheit zugunsten sprachlicher Improvisation verzichten können …