Buchbesprechung/Rezension:

Simon Urban: Plan D

verfasst am 28.08.2011 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Satire, Urban, Simon
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Was wäre wenn die Nazis den 2. Weltkrieg gewonnen hätten: das ist ein allseits beliebtes Thema für Bücher. Nun kommt ein nächstes Was-Wäre-Wenn-Szenario auf den Markt: gäbe es die DDR noch, was wäre denn dann?

Es scheint zunächst, als ob sich alles so abspielt, wie es Ende der 1980er wirklich stattgefunden hat: in Leipzig und anderswo wurde laut “Wir sind das Volk!” gerufen und  der ewige Lächler Egon Krenz beerbte den senilen Betonkommunisten Honecker. Dann wurde die Mauer geöffnet, hier jedoch änderte sich irgendwie die Zeitlinie: die DDR startete unter Krenz’ Führung die so genannte “Wiederbelebung” aber die Menschen wechselten trotzdem weiter hurtig ins andere Deutschland. Zwei Jahr später war die Mauer wieder zu – nicht ohne vorher mehr 2 Millionen DDR-Bürger durchgelassen zu haben, die in den Westen wollten.

Ganz anders und doch sehr ähnlich

Nun (wir schreiben das Jahr 2011) gibt es eine Sozialistische Union (SU) in Osteuropa und die andere Union (EU) im Westen, die den EURO als Währung hat. Und weil selbst in Parallelen Zeitlinien  (so viel haben wir uns aus Star Trek gemerkt) viele Leute parallel existieren, gibt es neben Krenz auch noch einen Westdeutschen Kanzler namens Oskar Lafontaine, einen Ostdeutschen Innenminister namens Otto Schily, auch Gregor Gysi werkt in Ostberlin dahin und noch ein paar andere aus unserem Kontinuum haben ihren Platz hier gefunden.  Und – verkehrte Welt – es gibt nun Begrüßungsgeld für Westdeutsche, die in die DDR wollen, Hartz IV und Finanzkrise(n) sei Dank!

Diese Welt bereitet Simon Urban in seinem Roman-Erstling für uns auf. Mehr als 20 Jahre nach der nicht statt gefundenen Wiedervereinigung hat sich natürlich etwas geändert in der Beziehung der beiden Deutschen Staaten, vor allem aber hat sich eines nicht geändert sondern vielmehr rasant verstärkt: das Gefühl der Zweitklassigkeit, das die Leute im Osten gegenüber denen im Westen spüren.

Sehr ausgepägt ist dieses Gefühl auch bei Martin Wegener , dem Hauptmann der Volkspolizei, der in einen brisanten Mordfall gemeinsam mit seinem Westberliner Kollegen ermittelt. Wegener ist einer von Millionen Ostedeutschen, denen nach der “Wiederbelebung” im Jahr 1989 mehr und mehr fast jedes Selbstwertgefühl abhanden gekommen ist. Man lebt und arbeitet, um es sich möglich ungestört einrichten zu können, aber Hoffnungen und Erwartungen, die gibt es nicht nicht. Grau und dreckig ist die die Zukunftsperspektive und gleicht damit 1:1 den Städten des Landes in denen Wegener ermittelt.

Wegener hält sich mit unerfüllten Träumen an seine Exfreundin und in Selbstgesprächen mit seinem ehemaligen Vorgesetzten und Freund einigermaßen über Wasser. Und dann kommt dieser Fall daher. Ein Fall, der danach aussieht, als ob die Stasi, nach mehr als 20 Jahren der Zurückhaltung, wieder zuzuschlagen scheint.

Wer DDR sagt muss auch Stasi sagen

Der Mord sieht ganz nach Bestrafung eines Verräters aus, sieht aus wie eine Aktion des Geheimdienstes, von dem man meinte, er sei in den vergangenen Jahren – unter der Leitung von Schily – von seinen alten Methoden abgerückt. Doch nun stellt sich die Frage, ob das überhaupt stimmt, oder ob alle nur getäuscht wurden und sich der Moloch Stasi, der Staat im Staat, vielleicht nur lange hinter einem Vorhang des Schweigens und der Vertuschung unsichtbar machen konnte.

Weil gerade eminent wichtige Wirtschaftgespräche zwischen Ost und West anstehen, weil ein Informant alles über den Mord an das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL weiter gegeben hat, kann die ganze Sache nicht vertuscht werden. Der gerade erst ins Amt gewählte Westkanzler Lafontaine kann schließlich nicht mit einem von der Stasi unterwanderten Staat fraternisieren, das würden ihm nicht nur seine Wähler sondern auch die EU übel nehmen.

Da kommt Richard Brendel ins Spiel, Wegeners Westkollege. Bilateral soll der Fall geklärt werden, denn falls die Stasi wirklich ihre Finger im Spiel hatte, dann stirbt der Vertrag und das will niemand und das kann sich auch niemand leisten. Die Polizei-Kooperation soll also beweisen, dass die Stasi nicht hinter den Mord steht. Aber so einfach lässt es sich nicht ermitteln, denn die Stasi verträgt es auch heutzutage nicht, wenn ihr andere in die Karten schauen möchten.

Bald stellt sich heraus: der Tote hatte beste Beziehungen zu den Spitzen der DDR, damals vor mehr als 20 Jahren als Krenz die Macht übernahm, war aber in den folgenden Jahren hinter einer zweiten Identität verschwunden und seine Akte wird immer noch als höchst geheim eingestuft.

Wegener und seine Ost-Kollegen nehmen sich selbst nicht wirklich ernst, ihren Staat noch viel weniger. Daraus entwickelt sich eine Art Realsatire, gewürzt mit einer ganzen Menge an ironischen und humorigen Dialogen, (un)zweideutigen Hinweisen und kaum verschleierten Seitenhieben auf Ost und West.

Dichtung trifft Wahrheit

Zu lesen gekommt man einen Thriller, der sich als Satire verkleidet – oder umgekehrt. Eine was-wäre-wenn Utopie, die viel mit der Realität des Jahres 2011 zu tun hat, sich aber in einigen zentralen Punkten als deren exaktes Gegenteil präsentiert. Das sprüht dann über weite Strecken nur so vor Originalität und Ideenreichtum, verliert sich aber hin und wieder leider auch in Wegeners etwas überlangen Gedankenmonologen und schwelgt für meinen Geschmack ein wenig zu oft und zu aufgesetzt in genitalen Derbheiten.

Wegener, der Polizist: einer, der jede Hoffnung aufgegeben hat, aus dem grauen, miefenden Trott der DDR jemals heraus zu kommen. Einer, der nichts von seinem Staat erwartet, ausser, dass der weiter immer weiter zerbröselt. Einer, der ist wie Millionen anderer, die nun wieder hinter der Mauer gefangen sind, einer, der in seinen Tagträumen das bisschen Energie zusammen kratzt, mit dem man die Tristesse des ostdeutschen Alltages verdauen kann. Das Rohmodell des illusionslosen Ostdeutschen, sozusagen.

In Summe, soweit man sich dazu als Nicht-Deutscher überhaupt ein Urteil anmaßen darf, eine sehr gelungene Darstellung einer alternativen Zukunft/Gegenwart/Vergangenheit. Die sich, wie man immer wieder diversen Umfragen entnehmen kann, aber noch immer recht viele Menschen als Wirklichkeit wieder herbei wünschen – aber man kennt das ja, die Erinnerung verklärt eben vieles.

Simon Urban schreibt zwar eine Krimi-Satire, doch habe ich darin auch eine Nachricht an alle DDR-Romantiker gelesen, die besagt, dass sich dort wohl niemals etwas geändert hätte und dass dieser ganze Staat schon die längste Zeit tot gewesen war ohne es selbst zu merken. Und eine Nachricht an das Gesamt-Deutschland von heute, in der von Einigem die Rede ist, das in den letzten Jahren an Werten und Motiven verloren ging. Insoferne ist der erfundene Wunsch von Wessies, in die DDR auzuwandern nichts anderes als eine Integration der realen und weit verbreiteten Unzufriedenenheit unserer Zeit in die Utopie dieses Buches.

Aber das wiederum gilt ja nicht nur für Deutschland, eine umfassende Kurskorrektur können praktisch alle westlichen Demokratien gut vertragen.

Resumee (Auszug bzw. Best of): macht Spaß beim Lesen, lässt Raum zum Mitdenken, lässt die Ideen nur so sprudeln, überzeugt in seiner Phantasie, wird zunehmend spannender, entwickelt sich von einer Realsatire zu einem packenden Thriller, macht Lust auf noch Kommendes, etc. etc.

PS: Simon Urban wurde im Jahr 1975, somit 14 Jahre vor dem Fall der Mauer in Westdeutschland geboren. Aus eigener Erfahrung konnte er also nichts, bzw. wohl nur sehr wenig,  seinem Buch beisteuern. Das macht es noch besser!




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