Yvonne Widler: Heimat bist du toter Töchter
Warum Männer Frauen ermorden - und wir nicht mehr wegsehen dürfen
Autorin/Autor: Widler, Yvonne
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Gertie
Vom Musterland des Frauenschutzes zur Frauenmörderrepublik – Österreichs Weg zur Hochburg der Femizide
Der Buchtitel „Heimat bist du toter Töchter” ist an die österreichische Bundeshymne, in der es nach langen Jahren der Diskussionen ab 2012 heißt ‚Heimat bist du großer Töchter und Söhne‘ (auch wenn es sich nun nicht mehr reimt) angelehnt.
Obwohl es nicht mehr erlaubt ist, wird von einem Großteil der misogynen (und vor allem) männlichen Gesellschaft (Politiker inklusive) die alte Fassung gesungen. Das konnte man erst unlängst bei der Eröffnung des Opernballs 2024, der ja auch als „Staatsball“ gilt, deutlich sehen und musste dazu kein professioneller Lippenleser sein.
Wenn bis vor kurzem die Rede von „Femizid“ war, wird sofort an Afghanistan oder Indien gedacht. Das Thema ist allerdings viel näher als gedacht: Die Autorin berichtet über 60 tote Frauen in den Jahren 2020 und 2021 in Österreich, mitten in Europa. Innerhalb von 11 Jahren werden in Österreich 319 Frauen ermordet. Der Täter? Fast immer der Partner oder der Ex Partner. Damit hat Österreich den zweifelhaften Ruf, ein Land der Femizide zu sein.
Yvonne Widler beschäftigt sich schon seit langem mit diesem Thema. Mit gebotener Sorgfalt, Respekt und Empathie den Opfern gegenüber wagt sie sich in diesem Buch an die grauslichen Tatsachen.
Was muss geschehen, dass bedrohte Frauen auch von den Behörden ernst genommen werden? Damit sie sich nicht in deren Zuständigkeitsgerangel verstricken, sondern schnelle und kompetente Hilfe erhalten? Denn einem Frauenmord in einer Beziehung geht ein oft Jahre langes Martyrium voran. Es ist nämlich ein Mythos, dass ein Frauenmord aus einer plötzlich aufwallenden Emotion passiert.
Die meisten Femizide der letzten Zeit sind sorgfältig, minutiös und generalstabsmäßig geplante Verbrechen, wie der grausame Mord an der Trafikantin Nadine W. in Wien zeigt, der von der installierten Überwachungskamera aufgenommen worden ist. Und, man will es gar nicht glauben, der Angeklagte plädiert auf „nicht schuldig“, weil seine Ex-Partnerin „selbst für ihr Schicksal verantwortlich ist“.
Ein Frauenmord ist kein Filmriss, wie es die Täter in den Gerichtsverfahren stets glauben machen wollen und dabei eine Täter-Opfer-Umkehr betreiben und damit die Opfer, die sich ja nicht mehr wehren können, noch in beschämender Weise diffamieren. Die Frauen seien schuld, sie hätten den „armen“ Täter ja provoziert, ihn in seiner Ehre gekränkt, weil sie sich von ihm trennen wollten, usw. usw.. So mancher Täter hält es sogar für „sein gutes Recht und Pflicht (!!)“ (s)eine Frau zu züchtigen, wenn sie widerspricht oder sich seinem Weltbild nicht entsprechend verhält.
Yvonne Widler geht der Frage nach, warum sich Österreich von einem Musterland des Frauenschutzes allmählich zu einer Frauenmörderrepublik entwickelt hat. Die Antwort darauf wird vielen Politikern nicht gefallen: 2017 hat die rechts konservative, türkise-blaue Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und H. C. Strache ( FPÖ) einfach die finanziellen Mittel für die Gewaltprävention gestrichen.
Die Frage, warum Frauen ihre gewalttätigen Männer nicht verlassen, kann zynischer nicht sein. Zum ersten sind ja nicht nur Frauen, sondern auch Kinder betroffen und zweitens wissen die Frauen oft nicht, wohin. Die bestehenden Frauenhäuser sind überfüllt und die Gelder für einen weiteren Ausbau entweder reduziert oder ganz gestrichen, siehe oben.
„Statt zu fragen, warum Frauen nicht früher aus diesen Beziehungen gehen, sollten wir fragen, warum diese Männer gewalttätig sind.“
Die Autorin berichtet sehr sachlich, was in Anbetracht der Grausamkeiten eine eigene Meisterschaft bedeutet, über die einzelnen Schicksale. Dabei ist sie weder sensationslüstern, noch schlachtet sie die verstörenden Details aus.
Mit den Medien geht sie harsch ins Gericht. Denn hier wird durch so manche Wortwahl eine Verharmlosung der Tat betrieben, die absolut fehl am Platz ist. Mord ist Mord. Punktum! Egal ob das Opfer Mann oder Frau ist!
Yvonne Widler ortet ein Systemversagen auf ganzer Linie. Wenn eine Frau einen Mann wegen z.B. Stalkings oder Bedrohung anzeigt, muss sie fürchten, wegen „übler Nachrede“ bzw. „Kreditschädigung“ geklagt und verurteilt zu werden. Das zeigt das Beispiel von Politikerin Sigrid Mauer. Der Mann, ein Gastwirt, hat sie nicht nur gestalkt, sondern auch bedroht. Als sie dies öffentlich gemacht hat, ist SIE in erster Instanz wegen übler Nachrede verurteilt worden (Die Berufung hat sie dann gewonnen.) ER ist nicht zur Verantwortung gezogen worden. Bestärkt darin, dass seine frauenfeindlichen Taten keine Konsequenzen haben, hat er ein Jahr später seine Partnerin umgebracht.
Auf ihrer Suche nach möglichen Antworten und Lösungen hat die Journalistin und Autorin mit zahlreichen Angehörigen, Überlebenden, ExpertInnen von Polizei und Politik gesprochen. Sie hat mehrere Gerichtsverhandlungen verfolgt.
Yvonne Widlers Anliegen ist es, allen jenen ermordeten Frauen eine Stimme zu geben. Denn die Toten können ihre Geschichte nicht mehr erzählen.
Dem ist wohl wenig hinzuzufügen.
Fazit:
Dieses Buch gibt den ermordeten Frauen ihre Stimme zurück, die ihnen so brutal von ihren Partnern oder Ex-Partnern genommen worden ist. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.
Nachtrag:
Am 23. Februar 2024 schockierte die Nachricht, dass innerhalb von 24 Stunden fünf Frauen in Wien ermordet sind, die Öffentlichkeit. Eine Mutter und ihre Tochter sind vermutlich von ihrem Ehemann bzw. Vater erdrosselt worden. Drei Frauen sind an ihrem Arbeitsplatz, einem Massagesalon, brutal erstochen worden. Was ist mit den Männern los? Die Frauenministerin hat sich übrigens erst nach einigen Tagen zu Wort gemeldet.