Thomas Knubben: Tobias Mayer
oder die Vermessung der Erde, des Meeres und des Himmels
Autorin/Autor: Knubben, Thomas
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Wer heute von A nach B kommen will, ruft einen Routenplaner der Wahl auf und hat schon die exakte Route, die genaue Reisedauer und noch alles Wichtige dazu parat. Damit wir heute auf so etwas zurückgreifen können, musste irgendwann irgendjemand beginnen, geografisch zu denken und Karten zu zeichnen …
Ein Meilenstein in dieser Entwicklung waren die Arbeiten von Tobias Mayer in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Diese literarische Biografie befasst sich mit dem Leben Mayers genauso wie mit den von ihm erdachten Methoden. Natürlich hat Mayer die Kartografie an sich nicht erfunden, er gab dieser Disziplin entscheidende Impulse in Richtung wissenschaftlicher Arbeit.
Das Buch befasst sich ineinandergreifend mit mehreren Themenbereichen:
Zum einen die Biografie des Tobias Mayer, geboren im Jahr 1723 als Sohn eines mittellosen Handwerkers im kleinen württembergischen Ort Marbach. Dass er es aus diesen einfachen Verhältnissen stammend bis zu einer Professur an der Universität in Göttingen brachten, war seinem mathematischen und zeichnerischen Talent zu verdanken, das den richtigen Förderern frühzeitig auffiel.
Diese Lebensbiografie ist zugleich auch die Beschreibung des typischen Alltages der Menschen im 18. Jahrhundert, als sich für die Mehrheit der Bevölkerung das Leben nicht viel anders darstellte als in den Jahrhunderten zuvor. Man musste schon Glück haben, die Kindheit zu überleben und hatte dann eine Lebenserwartung von durchschnittlich knapp 30 Jahren vor sich. Tobias Mayer selbst wurde nur 39 Jahre alt. Was es bedeutete, damals zu leben, womit der Alltag gefüllt war, welche Bürden die Einzelnen auf sich zu nehmen hatten, das kann man dank der sehr bildhaften Beschreibung in wenigstens teilweise nachvollziehen.
Der andere Teil, das ist der Bericht über das Emporstreben der Wissenschaft, des Denkens, der Künste im Allgemeinen. Es war nur eine kleine Gruppe von Menschen, denen es möglich war, sich der Forschung zu widmen, wenige Menschen, die nicht tagtäglich um ihre Grundbedürfnisse zu kämpfen hatten. Diese Entwicklung hatte schon ein paar Jahrhunderte zuvor begonnen, als Europa das Mittelalter und die religiösen Dogmen abzustreifen begann, doch nun drehte sich das Rad des Fortschrittes immer schneller.
Am Beispiel der Arbeit von Tobias Mayer – einige weitere Geistesgrößen der Zeit sind ebenfalls erwähnt – lässt sich verstehen, wie die Pioniere einzelner Wissensbereiche arbeiteten, die (noch) nicht auf die Vorarbeit vieler Generationen von ForscherInnen zurückgreifen konnten. Nachzulesen, wie es gelang, so ganz ohne Satellitenunterstützung, GPS-Positionierung, Fotografie und unseren Reisemöglichkeiten mehr oder weniger exakte Karten zu erstellen, ist eine überaus faszinierende Geschichte. Tobias Mayer musste, bevor er daran gehen konnte, solche Landkarten zu erstellen, seine Werkzeuge, Hilfsmittel und Methoden zuerst selbst erdenken und bei Bedarf bauen.
Die dritte Säule des Romanes ist die Einordnungen der Wissenschaften in das Zeitgeschehen, der Wandel der gewonnenen Erkenntnisse und deren Bedeutung im Laufe der Zeit.
Von zentraler Bedeutung in der Kartografie ist es natürlich, welche Form die Erde hat. Der Autor nimmt dies zum Anlass, in einem eigenen Kapitel ausführlich zu beschreiben, wie sich schon im antiken Griechenland die Erkenntnis durchsetzte, dass die Erde eine Kugel ist und wie die Gelehrten dies nachwiesen (Es ist erschütternd, dass es heute noch/wieder Leute gibt, die jedes Wissen leugnen und glauben, die Weisheit gepachtet zu haben, wenn sie die Erde als Scheibe – alternativ vielleicht noch als hohle Erde oder ähnliches – bezeichnen).
Die immer rascher fortschreitende Entwicklung von Handwerk, Handel und Verwaltung erforderte auch immer bessere Methoden und immer exakter Ergebnisse in so ziemlich allen Bereichen. Tobias Mayer erkannte, dass es für die Kartografie einer viel umfangreicheren Betrachtung bedurfte, als es bisher der Fall war. Seine Lösungen umfassten folgerichtig bald nicht mehr nur terrestrische Karten, mit der Kartierung des Mondes schuf er auch gleich eine Methode zur besseren Navigation auf den Weltmeeren.
In der Zusammenführung der Beschreibung des Alltages und der wissenschaftlichen Leistungen Mayers (die, ebenfalls im Buch nachzulesen, weit mehr als “nur” das Zeichnen von Karten umfasste) hat Thomas Knubben, selbst Professor an der Uni Ludwigsburg, ein ganz wunderbares Buch verfasst, das die beiden Themen überaus anschaulich beschreibt und den LeserInnen nahebringt.
Wer mehr über die Lebensumstände unserer Vorfahren und zugleich über die Entwicklung des Wissens erfahren möchte, auf dem unser heutiges Leben aufbaut, wird viel Freude an diesem Buch haben.