Buchbesprechung/Rezension:

Andreas Eschbach: NSA - Nationales Sicherheits-Amt

NSA - Nationales Sicherheits-Amt
verfasst am 21.11.2018 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Eschbach, Andreas, Science Fiction
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Ein spannendes Szenario: was wäre, wenn es schon zum Ende des 19. Jahrhunderts Computer gegeben hätte? Andreas Eschbach macht daraus eine neue Geschichte von Nazi-Deutschland und vom 2. Weltkrieg.

Der 1. Weltkrieg ging für Deutschland verloren, der Kaiser musste abdanken, jedoch schon im Jahr 1917, ein Jahr früher als wir es aus den Geschichtsbüchern wissen. Das was folgt, ist der Aufstieg Hitlers und der Nazis – hier laufen Eschbachs Fiktion und die Realität parallel.

Mit der Machtergreifung 1933 nutzen die neuen Machthaber dann die sich rasant weiter entwickelnde Computer-Technologie mehr und mehr zur Überwachung der eigenen Mitbürger und der Spionage bei den Feinden im Ausland.

Im Zentrum steht das NSA – das Nationales Sicherheits-Amt, das sich als Überwachungsbehörde mit spektakulären Erfolgen noch immer unabhängig von Himmler und Heydrich und damit von der SS behaupten kann.

Der Analytiker Eugen Lettke und die Programmiererin Helene Bodenkamp sind zwei der MitarbeiterInnen der NSA, völlig unterschiedlich in ihrer Herkunft und auch völlig unterschiedlich in ihrem Charakter. Gemeinsam haben sie jedoch, dass beide versuchen, ihre Arbeit für ihre persönlichen Interessen und Ziele zu nützen.

Der Ansatz klingt doch ungemein faszinierend: die IT-Revolution fand nicht erst in den 1970er-Jahren statt, sondern schon fast 100 Jahre früher. Ausgehend von diesem zurückversetzten Zeitpunkt entwickelt Eschbach die Welt der Vernetzung und der Datensammlung, die in vielem unserer Gegenwart gleicht. 

Big Data in Nazi-Deutschland ist jedoch nicht primär ein Mittel, um die Benutzer des Netzes genau im Hinblick auf Interesse und Wünsche zu durchleuchten und ihnen die richtigen Produkte oder Ideen zum richtigen Zeitpunkt zu liefern, sondern vorrangig und von Anfang an ein Instrument der Machthaber gegen die eigene Bevölkerung.

In unserer realen Zeitlinie sind es (vor allem) Unternehmen und politische Bewegungen, die das Internet zur Beeinflussung nutzen, in Eschbachs Welt ist es der Staat selbst. Doch auch das ist ja nicht gänzlich anders als in unserer Zeit, wenn man Länder wie Russland, Nordkorea, China oder die Türkei betrachtet, in denen die Staatstrolle die eigene Bevölkerung und die in anderen Ländern mit gelenkten “Wahrheiten” versorgen.

Dieses Buch ist damit sowohl Fiktion als auch Realität – und das ist beunruhigend genug.

Ausgangssituation und Rahmen sind also überaus aktuell und spannend; die Umsetzung hält dann in vielen Abschnitten leider nicht mit. Die ersten beiden Drittel des Romanes haben jede Menge Längen, in denen sich die Geschichte in allzu vielen Details verliert, erst im letzten Drittel gewinnt die Handlung an Tempo und Spannung. Zugleich erschöpft sich die Beschreibung der Technik und der Vorgangsweise der NSA meistens darin, den uns bekannten Dingen andere Namen zu geben. Der Ablauf ist dann sehr vergleichbar mit dem, was heute passiert: Trolle und Meinungsmacher, Gesichtserkennung und Sammlung von riesigen Datenmengen, Rasterfahndung und Telefonüberwachung – alles, was es tatsächlich gibt.

Bei der Dimension geht Eschbach jedoch viel weiter, als wir es (bis jetzt) erleben. Nichts kann diesem Überwachungsstaat entkommen, er dringt in die Gedanken ein, verändert sie und schafft neue Wahrheiten.

Mein Fazit ist sehr geteilt:

Da ist einserseits die erschreckend wirklichsnahe Schilderung von Vorgängen und Zuständen, die beinahe zur Gänze auch bei uns möglich wären. Den BenutzerInnen des Netzes wird eine Welt präsentiert, die voller Verschwörungstheorien und erfundener “Berichte” ist.

Andererseits hat der Roman viele, viel zu langatmige Abschnitte, die sehr oft zum Überblättern verleiten.

Insgesamt:

Eine fiktive Welt, die gleichwohl eine Warnung für alle ist, die sich willig und leichtgläubig im Netz verfangen haben und meinen, dass das Leben dort statt findet – und dass, wenn es nur irgendjemand im Netz geschrieben hat, dies die Wahrheit wäre.

Es gibt schon jetzt viel zu viele Menschen, die sich auf diese Weise eine völlig abwegige Welt in ihr Gehirn platzieren lassen – von Chemtrails über Impfgegner bis Gläubigen der flachen Erde: Verschwörungstheorien und mit ihnen die Geisteswelt der extremen Rechten finden mehr Zulauf, als man es von einer gebildeten Zivilisation im 21. Jahrhundert erwarten würde.




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