Buchbesprechung/Rezension:

Friedrich Torberg: Mein ist die Rache

verfasst am 18.01.2013 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Erzählungen, Torberg, Friedrich
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Aus der Sicht und mit den Worten eines Mannes, der dem Naziterror entfliehen konnte. Friedrich Torberg schrieb diese Novelle über Unmenschlichkeit und Hass in seinem Exil in den USA im Jahr 1943.Dort an dem Pier in New York, an dem die Auswander aus Europa ankommen, sieht der Erzähler immer wieder einen Mann, der jemanden zu erwarten scheint. Ein Schiff nach dem anderen legt an, entlädt seine Passagiere ins Gelobte Land Amerika, doch jedes Mal verlässt der Mann einsam und alleine den Hafen.

Dann, es ergibt sich so, kommen der Erzähler und jener einsame Mann ins Gespräch. Der Erzähler hört die Geschichte, das Schicksal des Mannes und er erfährt, auf wen dieser hier wartet und warum niemals jemand von jenen ankommen wird, auf die der Mann wartet.

Im (fiktiven) Konzentrationslager in Heidenburg übernimmt ein neuer Kommandant das Regime. Bis dahin hatten sich die Insassen schon weitgehend mit den Umständen arrangiert und ihr Leben,  so gut es unter den gegebenen Bedingungen eben möglich war, eingerichtet. Wenn man in der Gewalt von Verbrechern ist und keine Chance auf baldige Befreiung sieht, dann freut man sich schon über das relativ weniger Schlimme. Und Heidenburg war weniger schlimm als andere KZs.

Bis der Neue kam. Einer dieser SS-Fanatiker war das, Hermann Wagenseil; Nazi, Antisemit, Rassist, Folterknecht, Sadist. Und von einem Tag auf den anderen änderte sich alles im Lager.

Die Juden wurden gleich in einen eigenen Bereich abgesondert. Und Wagenseil macht damit klar, dass es für ihn noch immer einen Unterschied mache, ob einer Jude oder Nichtjude sei. Denn die Juden, die gehörten ausgerottet, so wie es der Führer wollte. Ein Fünftel aller Lagerinsassen waren Juden. 80 Menschen; und die Überlebenden dieser 80 waren auch die Menschen, auf die der Mann immer wieder vergebens am Pier in New York wartete.

Als man diesen 80 nun ihre “Judenbaracke” zuwies, fanden sie dort nur Platz zum Schlafen für 50, vielleicht 60. Nie hätten sie gedacht, hätten sich vorstellen können, wie schnell es Wagenseil erreichen würde, dass alle lebenden Juden Platz finden würden.  Er schaffte es auch ganz ohne Massenerschießungen und Gaskammern. Er drangsalierte, quälte sie, nahm ihnen jede Würde und Hoffnung; die das nicht ertragen konnten, nahmen sich selbst das Leben.

Platz zu schaffen in der Baracke: bald war klar, dass es nicht darum ging. Es ging darum, alle Juden zu töten, bis sie gar keinen Platz mehr in der Baracke, im Lager, auf der Welt benötigten.

Und der SS-Mann nahm ihnen auch ihren Sinn für ihre Leidens-Gemeinschaft. Er schaffte es, sie gegeneinander aufzubringen, sich nicht mehr als Gruppe zu fühlen, die einen gemeinsamen Feind hatte. Sie wurden zu Einzelnen, die vielleicht noch in kleinen Gruppen miteinander ansonsten aber nur mehr für sich alleine auftraten.

So perfide, so perfekt grausam war Wagenseils Vorgehen.

Es sind gerade diese Erzählungen über einzelne Menschen, verfasst von Zeitzeugen wie Torberg, die es für uns spätere geborene erst ein wenig verständlich machen, wie es den Verfolgten ging.

Geschichtsbücher, Statistiken über die Anzahl der Opfer der Nazis: das ist schon grausam, unmenschlich genug. Aber zu lesen und dabei annähernd zu erahnen, wie es den einzelnen Menschen ging, jenen, die danach zu Zahlen der Statistik wurden, das bleibt immer eine ganz eigene Dimension des Unfassbaren.

“Mein ist die Rache” zitiert dabei sehr umfangreich das ganze Nazi-Vokabular, mit dem man “Die Juden” zu beschimpfen und zu erniedrigen pflegte – und das auch heute noch/wieder von diesen ganzen Neonazis hören kann.  Man liest es, hört es, weiß dass es so war und kann es doch kaum glauben, dass so etwas aus den Gehirnen menschlicher Wesen entspringt (mir fiel dabei der großartige Christoph Waltz in der Rolle des zynischen SS-Killers in “Inglourious Basterds” ein: genau so einer ist dieser Hermann Wagenseil).

Friedrich Torberg hat eine Novelle von knapp 70 Seiten geschrieben, die zu jenen Werken gehört, die uns für alle Zukunft eine Mahnung und Erinnerung bleiben müssen. Damit wir daran denken und nicht vergessen, was Menschen mit Menschen anstellen können; ohne dass war das aber jemals wirklich begreifen zu können.

Ruft man sich in Erinnerung, dass dieses Novelle im Jahr 1943 entstand, so ist umso bemerkenswerter, wie realistisch Torberg die Vorgänge in einem deutschen KZ beschrieb. Zu einer Zeit, als das Wissen darüber noch lange nicht so detailliert war wie heute, wusste er bereits genau darüber Bescheid. 




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