Buchbesprechung/Rezension:

Robert Seethaler: Der Trafikant

verfasst am 01.02.2013 | 1 Kommentar

AutorIn & Genre: Romane, Seethaler, Robert
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Beeindruckend, wie man schon beim Lesen der allerersten Seite den Charakter ganzen Buches vor Augen hat. Nicht was den Inhalt, die Geschichte, die erzählt werden wird betrifft; nein: was den Stil, die Atmosphäre betrifft, was man vom Lesen behalten und woran man sich erinnern wird. Dass man hier etwas liest, das in seiner Sprache aus der Menge der Bücher herausragt, begreift man schon nach ein paar Wörtern.

Die Schilderung des Gewitters über dem Attersee, darum geht es auf dieser ersten Seite, hat mich schwer beeindruckt. Da glaubte ich zu wissen, dass ich den Autor Robert Seethaler und dieses Buch mögen werde.

Daheim im Salzkammergut hat der junge Franz Huchel wohl keine Zukunft. Und so setzt ihn seine Mutter in den Zug nach Wien, wo er mit seinen 17 Jahren erstmals für lange Zeit von daheim fort sein wird. In einer Trafik soll er arbeiten, bei einem Mann namens Otto Trsnjek, mit dem die Mutter vor vielen Jahren wohl ein Sommerpanscherl hatte.

Was Franz zuerst nicht weiß: so eine Trafik in Wien ist ein Ort der Begegnung und ein Trafikant kommt mit einer ganzen Menge Leute zusammen. Und oft sich auch welche dabei, die berühmt sind. Sigmund Freud, um nur einem zu nennen, dessen Bekanntschaft der junge Mann vom Land macht. Zu allem kommt, dass man das Jahr 1937 schreibt: die Welt ist voller dunkler Wolken und wer vermochte damals zu sagen, was der kommende Tag bringen würde?

In diese Welt wird man tief hineingezogen, Seethalers Sprache entwickelt eine enorme Sogwirkung, aus der es kaum ein Entrinnen gibt.

Das Jahr 1937 geht zu Ende und die Abgründe werden mit jedem Tag sichtbarer, in einem Alltag, der von Austrofaschimus und Antisemitismus geprägt ist. Und von einer Stimmung zwischen Hoffen und Bangen. Franz, der unbekümmert und frei von den faschitischen Vorurteilen nach Wien kam, lebt zusehend wie auf seiner eigenen Insel. 

Zu Sigmund Freud, dessen Wohnung in der Berggasse 19 nur ein paar Schritte von der Trafik in der Währinger Strasse entfernt liegt, fühlt Franz sich vom ersten Moment an hingezogen. Er ist fasziniert davon, dass es möglich sein soll, nur mit Worten zu heilen und zu helfen. Franz erwartet und erhofft sich von dem berühmten Mann Zuwendung und Zeit für Gespräche. Und für den alten Professor ein Gespräch mit dem jungen Mann aus dem Salzkammergut immer eine willkommende Abwechslung im Allerlei der von diversen eingebildeten und wahren psychischen Wehwehchen geplagten Patientinnen

Hilfe  auch allem dabei, die Frau zu erobern, in die er sich unsterblich verliebt hat, die ihn aber ohne ein Wort verließ, bevor er auch nur nach ihrem Namen fragen konnte. Franz lernt über die Liebe und die Frauen voller Hingebung und voller Schmerz. Aneczka, endlich gelingt es ihm sie zu finden und ihren Namen zu erfahren, scheint ein Spiel mit ihm zu spielen, ist einmal da, verschwindet dann für lange Zeit; so groß seine Verzweiflung auch oft ist, vergessen kann er sie nicht.

Zur selben Zeit aber, da ihn diese neue, leidvolle Erfahrung die bedrohlichen Ereignisse um ihn herum zusehends vergessen lässt, werden die Veränderungen der Welt rundherum immer rasanter und  immer gefährlicher. Das verhängnisvolle Jahr 1938 trifft Franz und den verehrten Professor Freud und das ganze Land mit voller Wucht.

Die Leidenschaft der unerwiderten Liebe; Menschen, die Angst vor der Zukunft haben; dumpfe Judenhasser, die nur noch auf die Ankunft des Führers warten: welches Thema Robert Seethaler auch immer in diesem Roman aufgreift, er macht es zu einem lange in den eigenen Gedanken nachwirkenden Bild.

Und Franz? Der versteht diese ganze Politik nicht. Warum dieser Hass auf Menscxhen, die anders leben, anders denken? Warum dieses Gewalt, nur weil man eine andere Meinung hat? Mit diesem Unverständnis über die Vorgänge und das Verhalten der Menschen vor und nach dem Anschluss an das Dritte Reich hat er viel gemeinsam mit den meisten Menschen unserer Zeit. Wir – sieht man von den gröhlenden und geifernden Ewiggestrigen einmal ab – verstehen auch nicht, wie es dazu kommen konnte; wir unternehmen alles, damit solchen nie wieder geschenen kann.

Robert Seethaler ist mit diesem Buch eine Neuentdeckung für mich. Er sollte für viel mehr LeserInnen eine Neuentdeckung werden, denn seine Sprache, die Atmosphäre, die er schafft, die Gedanken, die er seine Charaktere vermitteln lässt: das ist alles sehr beeindruckend und reiht ihn in eine Riege mit den Größen der zeitgenössischen Literatur.

PS: und wieder eines von den Buchcovern mit einer Fotografie aus ferner Vergangenheit vorne drauf. Ist das gerade ein Trend, oder täusche ich mich da? Jedenfalls gefällt es mir!




RSS-Feed für Kommentare zu diesem Beitrag 1 Kommentar


  • Kommentar von  Norman am 25.05.2015 um 17:23 Uhr

    Hallo Andreas,
    mir gefiel der Trafikant auch sehr – wenngleich ich ihn nur in meiner Leseliste erwähnt und nicht besprochen habe. Aber ich blättere gelegentlich mal drin, und das heißt ja, das ein Buch nachwirkt.
    Viele Grüße
    Norman


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