Buchbesprechung/Rezension:

Torberg. Friedrich: Die Tante Jolesch
oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten

verfasst am 17.03.2011 | 3 Kommentare

Autorin/Autor: Torberg, Friedrich
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[Gesamt: 9 Durchschnitt: 4.3]

„Was ein Mann schöner is wie ein Aff, is ein Luxus.“ Dieser Ausspruch der legendären Tante Jolesch, aufgrund des unbestreitbaren Wahrheitsgehaltes nicht von der Hand zu weisen, ist wohl das berühmteste Zitat in dieser an „Sagern“ überreichen Anekdotensammlung über das alte, vergangene Österreich von Friedrich Torberg.

Es wimmelt nur so vor menschlichen Originalen, schrägen Käuzen und unerreichten Geistesgrößen in der Atmosphäre des ehemaligen habsburgerischen Kulturkreises, der Welt der Boheme in Wien, Prag und Budapest. Karl Kraus, Franz Molnar, Egon Friedell, Anton Kuh, Leo Perutz, Egon Erwin Kisch und Alfred Polgar – alle erwachen wieder zum Leben und kommen zu Wort. Sie ließen es sich auch zeitlebens nie verbieten.

Aber auch unbekannte Zeitgenossen werden dem Vergessen entrissen, wie der zerstreute Religionslehrer Grün oder der geistreiche Rechtsanwalt Dr. Sperber, der einst während einer Gerichtsverhandlung ausrief: “Herr Rat, mein Klient verblödet mir unter den Händen.“

Und natürlich die Tante Jolesch, die „überall a bisserle ungern“ war und den Lauf der Welt immer auf ihre ganz spezielle Weise kommentierte: „Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist.“

Ein Kapitel beschäftigt sich mit dem legendären „Prager Tagblatt“, wo übrigens Torberg Redakteur war, und seiner illustren Journalistenschar, die überall zu finden war, nur in der Redaktion nicht. Dort war sie eher selten anzutreffen. Dieses „Blattl“ wurde noch von meinem seligen Großvater abonniert, weil er sie für die beste deutschsprachige Tageszeitung seiner Zeit hielt.

Aber eigentlich ist dieses Buch eine Hommage an die vergangene große Tradition des Kaffeehauses und die ganz speziellen Atmosphären, die diese Begegnungs-, Debattier- und Streitstätten ausstrahlten. Herrenhof, Cafe Central oder der Demel, überall ist es nicht mehr so wie früher. Im Herrenhof schon gar nicht, weil das gibt es auch physisch nicht mehr.

Die besonderen Atmosphären verschwanden mit ihren Insassen, den bürgerlich-jüdischen Intellektuellen, die dem Rassenwahn hitlerscher Prägung wenn nicht zum Opfer, so doch der Vertreibung anheim gefallen sind. Und viele sind nicht mehr zurückgekehrt, sind dort geblieben wo sie die erzwungene Emigration hingeschwemmt hat – auch so eine Art Tsunami, wenn kollektive Wahnzustände erzeugt werden.

An dieser intellektuellen Auslöschung hat unser Land bis heute schwer zu kiefeln, ähnlich einem Biber, der in einem Sägewerk beschäftigt ist. Man/frau braucht nur einen Blick auf unsere Presselandschaft zu werfen. Den Zustand unseres politischen Gemeinwesens als weiteres Beispiel anzuführen, möglicherweise aus dem Fehlen eines Meinungsmarktes resultierend, finde ich inzwischen schon ein bisschen humorlos.

Kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung hätte gegen eine unterdurchschnittlich besetzte torbergsche Kaffeemannschaft auch nur das geringste Leiberl (und im Kollektiv schon gar nicht).

Torberg besticht durch eine unvergleichliche Leichtigkeit in der Sprache, ähnlich einer Welle (einer freundlichen Welle wohlgemerkt!), die einen mitnimmt und sachte an Land wieder absetzt. Stilistisch und grammatikalisch außerordentlich – an alle Sprachpolizisten: lasst die Colts stecken, Torberg war einer von euch.

Aber lassen wir zum Abschluss die Tante Jolesch zu Wort kommen. Am Sterbebett wurde noch versucht der Tante die Rezepte ihrer sagenumwobenen Kochkunst mittels einer Finte zu entlocken: „Also stell dir einmal vor, Tante – Gott behüte, daß es passiert – aber nehmen wir an: du sitzt in einem Gasthaus und weißt, daß du nur noch eine halbe Stunde zu leben hast. Was bestellst du dir?“

„Etwas Fertiges“, sagte die Tante Jolesch.




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