Buchbesprechung/Rezension:

Mechtild Borrmann: Feldpost

Feldpost
verfasst am 09.11.2022 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Borrmann, Mechtild
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Schon selbst gelesen? Gib hier Deine Bewertung zum Buch ab!
[Gesamt: 2 Durchschnitt: 4.5]

Mechtild Borrmann ist die Meisterin der Beschreibung der Schicksale von Menschen und Chronistin der Ereignisse aus der Zeit des Nationalsozialismus, dem Weltkrieg, der Nachkriegszeit und wie das alles bis in unsere Gegenwart nachwirkt.

Vom ersten Satz an wirkt alles so überzeugend, dass man meint eine wahre Geschichte zu lesen, die eine der beteiligten Personen niedergeschrieben hat.

Albert und Adele Kuhn, Bruder und Schwester; Richard Martens und seine Schwester Dietlind. In den ersten Jahren nach der Machtergreifung der Nazis waren ihre Familien, Kinder und Eltern noch befreundet, man verbrachte Freizeit miteinander. Wann begann es, dass sie sich voneinander zu entfremden begannen? Dietlind beim BDM, ihre Mutter gänzlich angepasst und der Vater ein Parteigenosse der ersten Stunde. Alberts und Adeles Vater dagegen hält mit seiner Meinung über die Nazis nicht hinter dem Berg, sagt ihnen eine kurze Zeit an der Macht voraus. Wie er sich irrt, wie sich so viele irrten.

Als Vater Kuhn eingesperrt wird, weil er es wagte, sich dem Regime zu widersetzen, trifft das seine ganze Familie. Die Firma und das Vermögen werden beschlagnahmt, Kontakte zu den Nachbarn versiegen, es gibt kein Einkommen, die beiden Kinder unterstützen ihre Mutter so gut sie können, um die Zeit zu überbrücken, bis Vater wieder entlassen wird.

Das ist auch die Zeit, als Adele entdeckt, dass zwischen ihrem Bruder Albert und Richard mehr existiert als bloße Freundschaft. Die beiden verbindet aufrichtige Liebe, was unter den Nazis das Verderben bedeutet, wenn es bekannt wird.

Nach der Entlassung des Vaters aus dem Gefängnis verlassen er und Mutter Kuhn Deutschland, kurz bevor der Vater neuerlich verhaftet werden sollte. Sie ziehen zu Freunden in Frankreich, dort würde man sicher sein. Das Haus der Kuhns übernimmt Vater Mertens zu einem günstigen Preis, später würde er es, so wird es vertraglich festgeschrieben, an die Kuhns zu selben Preis zurückverkaufen.

Es ist ein “Später”, das nicht kommt. Denn es kommt das Jahr 1939 und mit ihm der Überfall auf Polen und der Beginn des Krieges in Europa.

In alle Himmelsrichtungen verschlägt es die Familie Kuhn, während sich ihre früheren Freunde daheim an dem bereichern, was die Kuhns zurücklassen mussten.

55 Jahre nach dem Ende des Schreckens, es ist kurz vor dem Ende des Jahres 2000, überreicht eine ihr unbekannte Frau der Kasseler Anwältin Cara Russo einen Aktenkoffer mit alten Bilder und Briefen. Ihr Wunsch ist, dass Cara Adele Kuhn ausfindig macht, in deren Besitz alle diese Dinge einst gewesen sein sollen. Die Briefe und die Recherchen, die Cara anstellt, erzählen von dem, was mit Adele, ihrem Bruder und ihren Eltern geschah.

Was uns heute so unwirklich erscheint, das fasst Mechtild Borrmann so in Worte, dass man eine Ahnung davon bekommt, wie es war, im Deutschland unter der Naziherrschaft zu leben. Wie Familien auseinandergerissen wurden, Freunde den Kontakt verloren. Wie Menschen aus ihrer Heimat fliehen mussten, weil sie die falschen Ansichten, den falschen Glauben, die falsche Geburt hatten, wie einige überlebten, aber viele starben. Wie es war, vor dem Bombenhagel in die Keller zu fliehen oder sich vor der Gestapo verstecken zu müssen. Wie es war nicht zu wissen, ob man am nächsten Tag in Freiheit, in einem Gefängnis oder tot sein würde.

Von Schicksalen, wie sie wohl hunderttausendfach gab, ist in “Feldpost” zu lesen, und damit verknüpft eine ebenso spannende wie erschütternde Familiengeschichte, über deren Ausgang man bis zum Ende im Unklaren bleibt.

Die Bücher von Mechtild Borrmann sind immer ein Ereignis und eine Bereicherung, weil es ihr jedes Mal gelingt, ihre Leserinnen und Leser in ihre Geschichten hineinzuziehen und gewissermaßen alles miterleben zu lassen. Beeindruckend ist diese nahtlose Verbindung von Fiktion bei den Einzelschicksalen mit der Wirklichkeit des Lebens in den dunklen Jahren in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts.

… am Ende klappe ich das Buch zu, lehne mich zurück und muss erst ein paar Mal tief durchatmen …

Großartig und eines meiner Lese-Highlights des Jahres 2022!




Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Top