Buchbesprechung/Rezension:

Monika Czernin: Der Kaiser reist inkognito
Joseph II. und das Europa der Aufklärung

Monika Czernin: Der Kaiser reist inkognito
verfasst am 24.04.2021 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Biographien, Czernin, Monika
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Ein Herrscher, der sich für die Lebensumstände des Volkes interessiert? Im Reich der Habsburger des 18. Jahrhunderts eine ungewohnte Eigenschaft. Mit Joseph II begann eine kurze Phase der Erneuerung, die der Sohn von Maria Theresia und Franz Stephan (Kaiser Franz I.) aber durch seinen frühen Tod – er wurde nur 49 Jahre alt – nicht zu Ende führen konnte.

Bei “Der Kaiser reist inkognito” handelt es sich um eine Biografie und den Bericht über einige Reisen des Kaisers. Obwohl sich das Buch ausschließlich an historischen Fakten und Dokumenten orientiert, liest es sich wie ein spannender, abwechslungsreicher historischer Roman.

Das führt dazu, das man als LeserIn gewissermaßen mit dem Kaiser mitreist, wenn er die eigenen Länder und auch viele weitere europäische Staaten unter dem Inkognito “Graf von Falkenstein” besucht.

So lernt man mit Joseph mit, erfährt beeindruckend viel über die Lebensumstände der Menschen, über den Stand der Wissenschaft, über Medizin, Kunst und Technik. Einfach alles, was das Leben in Europa ausmachte, beinahe als ob man selbst dabei wäre. Eine der Hauptquelle dazu sind Josephs Reiseberichte, womit man auszugsweise die Eindrücke des Kaisers in seinen eigenen Worten nachlesen kann.

Am Beispiel seiner Frankreich-Reise im Jahr 1777 sieht man, welche Bedeutung und welchen Einfluss diese Reisen in ganz vielfältiger Weise hatten: Joseph bewährt sich als Eheberater bei Ludwig XVI, er prophezeit der Schwester Marie Antoinette eine grausame Revolution, er hat Kontakt zu Benjamin Franklin und lernt ein Land kennen, das einerseits sehr fortschrittlich ist, das andererseits aber durch unglaubliche Armut und Ungerechtigkeit zu zerreißen droht.

Es ist Monika Czernin wirklich sehr gut gelungen, alle diese verfügbaren Informationen in einer Geschichte über die  Menschen und ihren Alltag zu verbinden.

Die Person Joseph II kann man mit Hilfe der Auszüge aus seinen eigenen Notizen und den Berichten der Personen, mit denen er zusammentraf ganz ausgezeichnet charakterisiert: seine Vorstellungen, seine Reformen, ja selbst seine Gedanken und Beweggründe sind daraus nachzulesen.

Unübersehbar bleibt bei allem Reformwillen aber, dass auch Joseph vom Gottesgnadentum überzeugt war, vom göttlichen Auftrag der Habsburger. Seine Reformen und Reformansätze hatten auch nicht zum Ziel, eine wirklich freie Gesellschaft mit gleichen Rechten für alle zu schaffen, sondern reichten immer nur an das im Rahmen der gegebenen Umstände gerade noch Denkbare heran. Josephs Regierungsform blieb immer noch der Absolutismus, wenn auch ein “aufgeklärter”.

Vielleicht bzw. wahrscheinlich hätten sich diese Grenzen im Laufe der Zeit immer weiter verschoben – doch dafür fehlte es ihm an Zeit und an Mitstreitern; und es hatte selbst der Kaiser bei vielen der Missstände und Ungerechtigkeiten – beispielsweise bei der mit dem Wort Leibeigenschaft kaschierten weit verbreiteten Form der Sklaverei – nicht die Macht, sie zu ändern.

In Josephs Außenpolitik zeigte sich hingegen oft das alte Schema der Machtpolitik. Hervorstechendes Ergebnis ist dabei beispielsweise die gemeinsam mit Preußen und Russland erzwungene Zerschlagung Polens, samt den damit verbundenen Gebietsgewinnen für die Habsburger.

Man muss/sollte sich dabei einmal vorstellen, wie es mit dem Land weitergegangen wäre, hätten Joseph und sein Nachfolger und Bruder Kaiser Leopold II ihre Modernisierungen im Inneren langfristig durchsetzten können. Am Ende von Josephs Leben war die Habsburger-Monarchie zwar noch lange kein moderner Staat im heutigen Sinn, einige der Reformen waren sogar zurückgenommen worden, aber der Weg in die Moderne wäre vorgezeichnet gewesen.

Wäre, wenn nicht Kaiser Franz II/I, der Sohn und Nachfolger Leopolds II dann das Rad der Zeit wieder zurückgedreht hätte. Während sich andere Staaten in den folgenden Jahrzehnten langsam auf den Weg in Richtung Zukunft machten, siegte in einigen anderen – darunter auch in der Habsburger-Monarchie – die Reaktion. Die meisten Reformen wurde wieder umgekehrt, einiges aber blieb erhalten und wurde zu einem Teil der Basis des modernen Österreich.

Monika Czernin hat ein sehr umfassendes und detailreiches Buch geschrieben, das eine (allzu) kurze Epoche in unserer Geschichte verständlich und greifbar macht. Ebenso lesenswert wie lehrreich, ist es eines der überzeugendsten Bücher, die ich in letzter Zeit über die Habsburgerzeit gelesen habe. Wer sich für unsere Vergangenheit interessiert, wird schwer daran vorbeigehen können.




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