Buchbesprechung/Rezension:

Paul Collins: Der Mord des Jahrhunderts

verfasst am 05.04.2012 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Collins, Paul
Genre: Romane Genre: Zeitgeschichte
Buchbesprechung verfasst von:
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Gehen wir auf eine Zeitreise zurück in das Jahr 1897 und tauchen wir ein in die Welt des ausklingenden 19. Jahrhunderts. Doch bevor es um dieses Buch geht, ein (ganz) kurze Einstimmung auf das Jahr 1897 – was geschah auf der Welt zu jener Zeit?

In Österreich regiert Kaiser Franz-Josef, in Deutschland Kaiser Wilhelm II., in Russland Zar Nikolaus  und in Großbritannien Königin Victoria. Der US-Präsident ist seit Anfang dieses Jahres William McKinley. Johannes Brahms und Sebastian Kneipp sterben, William Faulkner und der spätere Papst Paul der VI erblickten das Licht der Welt. In der Alten Welt scheint also die alte Welt noch weitgegehend intakt, während in sich in der neuen Welt die Welt des 20. Jahrhunderts ausbreitet.

Womit wir bei diesem Buch angelangt sind: es ist ein Kriminalroman über ein wahres Verbrechen und eine spannende zeitgeschichtliche Dokumentation über die Entwicklung des Pressewesens, insbesondere über den Boulevardjournalismus, und die Arbeit der Ermittlungsbehörden. Die Kombination von beidem ergibt ein wirklich tolles Buch, das die Leserin/den Leser ganz tief in diese Zeit eintauchen lässt. 1897, New York, die Lebensumstände – sie alle werden hier bildhaft lebendig.

Nichts ist erfunden, alles geschah tatsächlich und ist durch hunderte Dokumente bis in letzute Detail beschrieben: in New York werden die sorgsam voneinander getrennten Körperteile eines Mannes gefunden, die ersten Leichenteile wurden aus dem Hudson River gefischt. Es herrschte eine unterträgliche Hitze in der Stadt (1897 bedeutete natürlich auch ein Leben ohne Klimaanlage)  und die Polizei werkelte zu Beginn so dilletantisch wie eine Horde von Dorfpolizisten an diesem Fall herum.

Es begann der Kampf der Journalisten um die besten, die exklusivsten, die neuesten Nachrichten. Neben tiefen Einblicken in die Presselandschaft erfährt und lernt man auch, wie die Gerichtsmedizin, die Gerichte, die Anwälte damals dachten und arbeiteten. Alles erscheint beim Lesen derart präsent, dass man gar nicht anders kann, als sich von der Atmosphäre der Stadt und des Geschehens einfangen  zu lassen.

Paul Collins rollt den “Fall Guldensuppe”, wie das Verbrechen genannt wurde, von Anfang bis zum Ende minuziös auf. Es  ist faszinierend, wie er ausschließlich reale, belegte Fakten und Aussagen in die Form eines ungemein authentischen Romanes bringt. Vom ersten Leichenteilfund bis zur Identifikation des Opfers. Von der Ausforschung bis zur Verhaftung der Täter. Von der Beweisführung bis zum Prozess und zum Urteil.

Aber keine Angst: selbst wenn man sich über den historischen Hintergrund schon vorher informiert hat, dann kennt man zwar die Fakten, aber der Spannung beim Lesen tut das keinen Abbruch. Ganz und gar nicht!

Bemerkenswert ist, wie die damals Presse die Polizei gewissermaßen vor sicher her trieb, wie Journalisten quasi eingebunden in die Ermittlungen waren und wie sie mehr oder weniger den Fall lösten. Die Konkurrenz der Tageszeitungen untereinander brachte weitaus mehr zustande als die ermittelnden Behörden.

Der Mord des Jahrhunderts markierte des Beginn einer neuen Art von Journalismus, einer Art, bei der die Reporter vor keiner verschlossenen Türe mehr halt machten, keine Tabus mehr kannten. Alles, was gut für die Auflage war, wurde auch gedruckt, auf ein Berufsethos wurde zugunsten der Verkaufsauflage verzichtet. Es war auch ein Höhepunkt im Kampf der Medienmogule Hearst und Pulitzer, aber es war eben nur der erste von vielen Höhepunkten für den neu entstehenden Boulevard-Journalismus. 

Das Attribut “des Jahrhunderts” verdient dieser Fall, weil mit ihm vieles begann, was die Medienbranchen teilweise bis heute prägt. An Publikumswirksamkeit wurde er natürlich bald von vielen nachfolgenden übertroffen, denn letztendlich war es nicht mehr als ein damals und heute fast alltägliches Verbrechen. 

Daraus ein Buch zu machen war eine großartige Idee, die Paul Collins in Form eines literarischen Doku-Dramas beeindruckend umsetzte.

Links:

In der Bibliothek des US-Kongresses kann man zum Thema stöbern




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