Buchbesprechung/Rezension:

Christian Klinger: Ein Giro in Triest
Gaetano Lamprecht ermittelt (1)

Christian Klinger: Ein Giro in Triest
verfasst am 28.02.2022 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Klinger, Christian, Kriminalromane
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Triest, die Perle der Donaumonarchie an der Adria: Im Sommer 1914 ist diese alte Welt noch in Ordnung, wer könnte daran denken, dass nur vier Jahre später das, was Jahrhunderte lang wie unverrückbar schien, vergangen sein würde.

Ispettore Gaetano Lamprecht, der sich am 27.  Juni eben dieses Jahres, es ist ein Samstag, durch den Karst bei Opicina im Umland von Triest zum Fundort der Leiche kämpft, steht also im Dienst des alten Kaisers Franz Joseph.

Schauplatz Triest

Weil Christian Klinger diese geschichtsträchtige Stadt für sich als Wahlheimat auserkoren hat, kennt er die vielen Details, die man als Besucher vielleicht übersehen oder gar nicht wahrnehmen würde. Man wird als LeserIn von der Erzählung dieses Romanes an die Hand genommen und streift gemeinsam mit dem Inspektor durch Triest. Es fühlt sich beinahe an wie eine Zeitreise, wenn man nicht nur die Ermittlungen der Polizei verfolgt, sondern zugleich auch eintaucht in das damalige Leben, die Lebensumstände im Privaten wie im Öffentlichen. Man nimmt beim Lesen die zeitlose südliche Atmosphäre auf und wird zugleich hineinversetzt in den Alltag des Jahres 1914 – es ist, als wäre man direkt mit dabei in Triest und wandert selbst durch die alten Straßen und riecht das Meer. Wie sehr diese Stadt damals doch beides war: eine typisch italienische Stadt und – seit mehr als fünf Jahrhunderten schon – zugehörig zum Habsburgerreich, womit Triest auch eine österreichische Stadt war.

Eine der Besonderheiten, über die man liest, ist das Fahrrad, mit dem Gaetano immer dann zum Einsatz unterwegs ist, wenn es die Umstände erlauben. Damals mit Nasenrümpfen betrachtet, heute der Mobilitätstrend schlechthin – so ändern sich eben die Zeiten.

Mit so einem Fahrrad, einem Bianchi-Rennrad mit luftgefüllten Reifen, radelt Gaetano jetzt auch in den Karst: Ein Soldat der kaiserlichen Armee war tot aufgefunden worden. Erhängt. Während die Polizisten vor Ort das gleich als Selbstmord ad acta legen möchten, erkennt Gaetano jedoch die Ungereimtheit am Ort des Geschehens. Beispielsweise lässt sich nichts finden, mit dem der Tote sich selbst auf den Baum gehievt haben könnte; nicht das einzige Indiz. Also Mord?

Das zu beweisen ist nicht einfach, denn die Leiche wird rasch vom Militär abgeholt und der Arzt, der die Obduktion durchführen sollte, weist den Inspektor nur rüde zurecht, ohne den Toten genau untersucht zu haben: Es wäre eindeutig Selbstmord gewesen, so seine Expertenmeinung, und Gaetano solle den Fall einfach auf sich beruhen lassen und ein geruhsames Wochenende genießen; jedenfalls gäbe es nichts mehr zu beantworten oder zu untersuchen.

Was hat es mit dem Feldjäger Ludwig Farnese, so der Name des Toten, auf sich, dass jemand eine Aufklärung verhindern möchte. Weil Gaetano fest davon überzeugt ist, dass es sich um ein Verbrechen handelt, lässt ihn auch sein Vorgesetzter gewähren. Diskret soll es aber sein, denn mit der k.u.k. Armee sollte man sich besser nicht anlegen.

Kriminalroman und historischer Hintergrund …

Der Krimi bezieht seine Spannung gleich aus mehreren Quellen: zum einen natürlich dem, nennen wir ihn der Einfachheit halber gleich einmal so, Mordfall und zum anderen aus den Umständen, die Gaetano und seine ganze Familie veranlasst hatten, von Wien nach Triest zu ziehen. Was ist in der Residenzstadt vorgefallen und wer ist die Persönlichkeit, die aus dem Hintergrund ihre schützende Hand über den jungen Polizisten hält? Überhaupt sind die Verhältnisse in Gaetanos Familie ganz allgemein kompliziert.

Und dazu noch der historische Hintergrund des Juni 1914, als die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand in Sarajewo zum Beginn der Kette von Ereignissen wurde, an deren Ende die gewohnte Weltordnung versunken war.

Es ist der Tag nach dem Auffinden des toten Soldaten, der 28. Juni 1914, als die Nachricht vom Attentat in Sarajewo hinaus in die Welt geht. Die Polizei in Triest wird in Alarmbereitschaft versetzt, bislang unentdeckte Verschwörer sollen aufgespürt werden. Die Folgen des Anschlages werden schnell auch an der oberen Adria spürbar; Unruhe greift um sich, bald ist von Krieg die Rede, doch noch kann man sich nicht wirklich vorstellen, dass daran die Monarchie zerbrechen würde; obwohl es böse Vorahnung gibt.

Der Vorabend des Weltkrieges, der ungelöste Mordfall, die Bestrebungen Italiens, Triest samt Istrien aus dem Habsburgerreich herauszulösen, Inspektor Lamprechts Geheimnis: aus diesen Elementen entwickelt Christian Klinger einen wirklich interessanten (was die historischen Vorgänge betrifft) und abwechslungsreichen Roman mit viel Flair und Zeitgefühl. Gut nachvollziehbar ist der Zwiespalt, in dem sich jene Einwohner Triest befanden, die italienische Wurzeln hatten. Wem sollte man in diesen verwirrenden Zeiten die Treue halten? Wer auf welcher Seite stand, ob alte Freundschaften noch etwas wert waren, das war in diesem Sommer 1914 unsicherer als je zuvor.

Christian Klinger erzählt die Geschichte ganz nahe an den tatsächlichen Verhältnissen, die damals in Triest und in der Monarchie herrschten. Wie eine Vielzahl von Interessengruppen an der Einheit des Habsburgerreiches zerrten und wie vieles davon hatte in Triest seinen Brennpunkt hatte. Die Stadt lag genau an der Schnittstelle nationaler Interessen von Slowenen, Italienern und Österreichern (und blieb es auch noch in den nachfolgenden Jahrzehnten, als die Monarchie bereits Geschichte war).

… und einer ordentlichen Portion Action

Gaetano kommt der Verschwörung schon bald auf die Spur, jedoch ohne zunächst zu ahnen, womit und mit wem er es zu tun bekommt . Während er den Hinweisen folgt, gerät er zugleich auch selbst ins Visier der Unbekannten und in unmittelbare Lebensgefahr.

Das Geschehen verlagert sich aus Triest in die Adria, auf Seiner Majestät Schlachtschiff Viribus Unitis, die Franz Ferdinands Leichnam von Sarajewo nach Triest bringen soll. Der Ispettore Lamprecht wandelt sich bei den nun folgenden Ereignissen zu einer Art furchtlosen Geheimagenten seiner Majestät, quasi einem 007 der Donaumonarchie, auf den Gefahr an Land, in der Luft und im und auf dem Wasser lauert. Ein wenig kommt dabei die Realitätsnähe abhanden, aber so etwas ist man ja auch von James Bond gewöhnt.

Auch das Tempo des Finales orientiert sich an einem actionreichen Film-Showdown …

Echtes historisches Geschehen und reale historische Persönlichkeiten fügen sich wie selbstverständlich in den Roman ein. Dazu die Beschreibung der Stadt Triest, der verworrenen und verwirrenden Verhältnisse am Vorabend des 1. Weltkrieges und die Figur des Inspektors Gaetano Lamprecht – das alles zusammen hat mich wirklich überzeugt.

Ist damit der Startschuss für eine neue Reihe historischer Krimis gefallen?
So wie es aussieht – ja!
Und das würde mir gefallen!




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