Buchbesprechung/Rezension:

Boris Bondarew: Im Ministerium der Lügen
Ein russischer Diplomat über Moskaus Machtspiele, seinen Bruch mit dem Putin-Regime und die Zukunft Russlands Boris Bondarew

Im Ministerium der Lügen
verfasst am 17.02.2024 | 1 Kommentar

Autorin/Autor: Bondarew, Boris
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Russische Außenpolitik, die zeigt sich seit Jahren in der Person des Außenministers Sergej Lawrow, der mit betont wichtigtuerische Mimik und Gestik vor den Kameras vorbei trottet und dann ungeniert die üblichen Lügen in der Welt verbreitet.

Unter Putin hat sich Russland in einen autokratischen Staat nach wahlweise sowjetischen oder faschistischem Muster gewandelt, nachdem es in den 1990ern eine sehr kurze Zeit der Demokratisierung gegeben hatte. Lawrow und damit die Außenpolitik insgesamt folgen treu der aggressiven Politik ihres Präsidenten.

Der russische Ex-Diplomat Boris Bondarew schreibt in seinem Buch über dieses Russland der Gegenwart und wie die Ereignisse der letzten Jahrzehnte dazu führten, dass Unterdrückung im Inneren und Gewalt nach außen die Menschen im Griff halten.

Im Inneren gibt es kein Recht, auf das man sich verlässliche berufen könnte, wenn man einmal ins Visier irgendwelcher Apparatschiks geraten ist. Der ganze Staat funktioniert ähnlich wie eine riesige Mafiaorganisation: Schutzgeldzahlungen an Amtsträger sind obligatorisch, nützen aber im Ernstfall wenig. Anschuldigungen werden erfunden, um nach Belieben jemanden mundtot zu machen, wenn es einer einflussreicheren Person, als man es selbst ist, gefällt.

Viele der beschriebenen Vorgänge lassen sich zwar nicht so einfach direkt verifizieren, jedoch indirekt über Vergleiche mit dem, was allgemein bekannt ist: am Agieren und an den bekannt gewordenen russischen Aktivitäten zeigt sich, wie dieses Putin-Russland funktioniert, Bondarew liefert dazu einige Insiderinformationen.

… wurde der „Separatismus“ im Donbass sowie auf der Krim künstlich – und unter aktiver Mitwirkung Russlands – geschaffen.
(S.77)

Korruption ist eine der tragenden Säulen Russlands, die bekanntlich auch schon unter Jelzin die Plünderungen des Staatsvermögens durch eine kleine Gruppe von besonders gut vernetzten ehemaligen Sowjet-Funktionären, den späteren Oligarchen, ermöglichte.

Sehr viel Raum nehmen auch die wirtschaftlichen, militärischen und natürlich außenpolitischen Entwicklungen ein, die in Russland nach dem Ende der Sowjetunion stattgefunden haben: Wie funktioniert die Administration, welchen Einfluss haben die Sanktionen des Westens (jedenfalls weniger als erhofft), die Giftanschläge auf Putin-Gegner, Abstimmungsergebnisse in sowjetischer Tradition, Ausschaltung von Opposition und Presse. 

Und natürlich die Großrussland-Fantasien, nach denen Putin auf Basis angeblich historischer Rechte am Ende mit dem Angriff auf die Ukraine zum Massenmörder wurde. 

Wesentlichen Anteil am verzerrten Bild, das in Russland über den Westen entstanden ist, hat auch die Diplomatie. Anstatt reine Fakten in den Berichten nach Moskau zu melden, verfassen die Botschaften in vorauseilendem Gehorsam Meldungen, die Russlands Erfolge überzeichnen und Misserfolge kleinreden. Man will eben nichts schreiben, das Putin und seinen Gefolgsleuten missfällt, denn das könnte zur Versetzung oder Entlassung führen. Lüge wurde unter Lawrow zum vorrangigen Werkzeug der russischen Außenpolitik.

Gibt es eine Lösung?

Einen wesentlichen Aspekt aller dieser Vorgänge ist das Verhalten der Bevölkerung in Russland. In einer Mischung aus Angst vor Repression, weitgehendem Desinteresse an politischen Vorgängen und die durch andauernde Propaganda in den Medien völlig verdrehte Realität kennen die meisten Menschen nur die eine „Wahrheit“, die Putin und seine Gefolgsleute erfinden. Mit einer umfassenden Demokratisierungsbewegung ist also in absehbarer Zeit wohl kaum zu rechnen.

Bondarew beschreibt – und das ist eine gleichsam beunruhigende wie erhellende Analyse – die Vorgangsweise Putins als eine, die an den Vorabend des 2. Weltkrieg erinnert. Der “neue Zar” im Kreml macht den Westen für jeden Eskalationsschritt, den er selbst setzt, verantwortlich und zieht aus  ausbleibenden martialischen Reaktionen den vermeintlichen Schluss, immer weitergehen zu können. Erinnerungen an die Appeasementpolitik Chamberlains bleiben da nicht aus.

Und noch eine Analogie zwischen Nazideutschland damals und Russland heute gibt es, auf die Bondarew hinweist. Für Putin und seine Freunde ist der Gewinn des Krieges gewissermaßen schicksalhafte Pflicht. Denn mit einer Niederlage würden sie alle ihre Pfründe und die russischen Staatskassen als Selbstbedienungsladen verlieren und würden sich vor allem für ihre Verbrechen verantworten müssen.

Mit diesem Buch bekommt man einen sehr kompakten und verständlichen Überblick und eine Erklärung aus der Perspektive eines Mannes, der die Verhältnisse direkt miterlebt hat. Wenn wir Nachrichten aus und über Russland immer nur von Journalisten bekommen, die aus dem Westen dorthin gesendet werden, dann muss zwangsläufig etwas fehlen. Da die Medien in Russland allesamt staatlich gesteuert werden (oder verboten werden), erfahren wir aus diesen Quellen nur das, was Putin und seine Leute mitteilen wollen.

Wenn Bondarew am Ende einen Blick auf die Möglichkeiten für einen Frieden und eine mögliche Demokratisierung seines Heimatlandes wirft, dann scheint das alles eher „frommer Wunsch“ als realistische Option zu sein. Dabei würde ein wirklich demokratisches Russland eine enorm bedeutende Rolle auf der Welt spielen können.

PS: liest man dieses Buch, dann weiß man, was uns erwarten würde, wenn die Putin-Bewunderer bei uns an die Macht kämen. Viktor Orban macht es in Ungarn ja schon vor mit seiner „illiberalen Demokratie“.




Ein Kommentar

  • Andreas sagt:

    Was kann den Wahrheitsgehalt des Buches besser untermauern, als das, was gestern die Nachrichten auf der ganzen Welt beherrschte: der bekannteste Widersacher Putins, Alexei Nawanly, hat die Willkür und die Gewalt des Putin-Regimes nicht überlebt und starb in einem Straflager irgendwo in Sibirien.

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