Buchbesprechung/Rezension:

Leo N. Tolstoi: Hadschi Murat

Hadschi Murat
verfasst am 01.02.2023 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Tolstoi, Leo
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Der Roman, der erst im Jahr 1912 aus dem Nachlass von Leo Tolstoi erschien, beschreibt eine historische Episode aus dem vom Zarenreich besetzten Kaukasusregion: Hadschi Murat war Widerstandskämpfer, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte.

Der Roman beschreibt die Ereignisse aus den Jahren 1851/1852, als Hadschi Murat die Seiten wechselte und von den Widerstandskämpfern zur Armee des Zaren überlief. Tolstoi, der als Chronist der russischen Oberschicht berühmt wurde, wendet sich mit diesem Roman über weite Strecken von seinem bisherigen Hauptthema ab und wird zum Chronisten von Ereignissen, die sich weitab von Herrscherhäuser und Fürstenhöfen in der kargen und gewalttätigen Welt der Eroberungen des Zarenreiches abspielten.

Einige Abschnitte des Romans befassen sich mit Zar Nikolaus I., mit dessen Charakterisierung es Tolstoi gelingt, dass man auch heute noch ein präzises Bild über Auftreten, Handeln und Selbstverständnis dieses Monarchen bekommt.

Zu Beginn liest sich der Roman noch wie ein Abenteuerroman: lustigen Dreinhauen, ein paar muntere Gewehrkugeln fliegen durch die Luft, da und dort ein Toter oder ein Verletzter. Diese vermeintliche Leichtigkeit, diese anscheinend fast amüsierte Betrachtung der Auseinandersetzungen zwischen den Russen auf der einen Seite und den Awaren und Tschetschenen auf der anderen Seite, stellt sich mit Fortschreiten der Ereignisse als das heraus, was es ist: ein gnadenloses Gemetzel.

Alle der im Roman erwähnten Personen haben reale Vorbilder. Diese vielen Details entnahm Tolstoi den Erinnerungen und Tagebüchern von Wladimir Alexejewitsch Poltorazk und Michail Loris-Melikow, die beide im Geschehen eine Rolle spielten.

Was auch bewusst wird ist, dass diese Weltregion auch heute, 170 Jahre nach den beschriebenen Vorgängen nach wie das Zentrum andauernder Auseinandersetzungen und Gewaltexzesse ist und exportiert zudem auch noch, man nehme nur den Massenmörder und Putinfreund Kadyrow als Beispiel, Terroristen und Söldner in alle Welt.

Hadschi Murat war einer der Anführer des Aufstandes gegen die Russen, ein Unterführer von Imam Schamil. Als er bei einer Ernennung übergangen wurde, kam es zum Zerwürfnis mit seinen Kameraden, das so weit ging, dass er zum Tode verurteilt wurde. Hadschi Murat wechselte die Seiten und diente sich der russischen Armee als Verbündeter an. Seine ganze Familie blieb zurück und diente nun Schamil als Druckmittel, um Murat davon abzuhalten, sich in die Kämpfe gegen die Aufständischen einzuschalten und gleichzeitig auch, um den Abtrünnigen heranzulocken, um ihn zu töten..

Die Ereignisse rund um diesen Seitenwechsel und das darauf Folgende sind der Inhalt dieses Romanes, in dem Tolstoi alles erstaunlich detailreich und historisch genau berichtet.

Mit seinem meist romantisierenden Schreibstil und seiner Art, Situationen, Personen (samt deren Beziehungen zueinander – typisch Tolstoi eben) und Örtlichkeiten minuziös und im tatsächlichen Wortsinn bildhaft zu beschreiben, nimmt Tolstoi einerseits den an sich blutdurchdrängten Vorgängen die Härte, macht aber zugleich die ganze Grausamkeit deutlich, mit der schon damals die Auseinandersetzungen im Kaukasus ausgetragen wurden. Der gesamte Roman ist ungemein überzeugend in seiner realistischen Beschreibung der Vorgänge.

Zugleich bringt Tolstoi seine Geringschätzung der Person des damals regierenden Zaren Nikolaus I. sehr deutlich zum Ausdruck und zugleich auch der regierenden Klasse und des politischen und gesellschaftlichen Systems. Das mag auch dazu beigetragen haben, dass dieser in den Jahren 1896 –  1904 entstandene Roman erst posthum erschien.




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