Theodor Fontane: Effi Briest
Autorin/Autor: Fontane, Theodor
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Dachte Theodor Fontane wohl daran, dass er den Menschen auch noch weit mehr als 100 Jahr später mit seinem Roman einen so unvergleichlichen Einblick in das Leben zu seiner Zeit, in die Welt des späten 19. Jahrhunderts geben würde?
Denn das ist dieses Buch in vollem Umfang und auch um nichts weniger: DER “Bericht” über die Gesellschaft im deutschen Kaiserreich, über deren Grundsätze, deren Konventionen und Traditionen.
Wenngleich eine Fiktion, ist es doch eine Erzählung über das Leben und die Menschen, über die Familie und darüber, wie es war, damals zu leben.
Ab 1894 erschien der Roman in mehreren Fortsetzungen, bevor er im Jahr 1896 als Buch veröffentlicht wurde. Man liest also über die Lebensumstände in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts.
Effie Briest: Sie ist gerade erst sechzehn Jahre alt, als der rund zwanzig Jahre ältere Landrat Baron von Innstetten bei ihren Eltern um ihre Hand anhält. Ohne zu zögern stimmen die Eltern zu und auch Effie ist voller Vorfreude auf das neue Leben, das sie erwartet. Zurück wird sie nicht nur ihr vertrautes Leben lassen, sondern auch ihre Jugend, ihre Freundinnen, um deren Hand noch niemand angehalten hat.
Es ist eine Ehe ohne Leidenschaft, dafür von gegenseitigem Respekt. Als Mensch des 21. Jahrhunderts wird man sich fragen, wie es unter solchen Verhältnissen dazu kam, dass Kinder zur Welt kamen. Auf der Hochzeitsreise, die das frisch vermählte Paar nach Italien führt, wird jedenfalls dieser Teil der ehelichen Pflichten erfüllt und neun Monate später kommt die Tochter Annie zur Welt.
Kein Sohn, was von vielen bedauert wird, aber ein solcher kann ja noch nachfolgen.
Der Ehealltag mündet mehr und mehr in Routinen, wobei Effie und der Baron einander immerfort der gegenseitigen Zuneigung versichern, man begegnet einander mit Höflichkeit, im Großen und Ganzen aber führen beide ihr Leben nebeneinander und nicht miteinander. Kann ein solches Leben einer jungen Frau genug sein? Umso mehr, als sie durch ihr freundliches Wesen und ihre Schönheit wohl das Interesse vieler Männer erweckt.
Während Innstetten oft unterwegs ist und daran arbeitet, seine Karriere voranzubringen, bleibt Effie, abgesehen von ein paar Wochen der Sommerfrische, meist im Haus, empfängt gelegenlich Besucher. Das Kindermädchen Roswitha und der Hund Rollo sind ihre Stützen und Anker in diesen Tagen, Wochen und Monaten voller sich wiederholender Tagesabläufe. Zwei Stützen, die sie von da an bis zum Ende ihres kurzen Lebens begleiten werden.
Aus einem harmlosen Flirt in der Anfangszeit ihrer Ehe wird Jahre später eine Katastrophe. Durch Zufall tauchen alte Briefe auf, in denen der Baron den Beweis einer zurückliegenden Liebesaffäre zu erkennen glaubt. Er fordert den vermeidlichen Nebenbuhler zum Duell, der dabei ums Leben kommt. Effie wird von ihrem Ehemann verstoßen, sie wird von ihrer Tochter getrennt und selbst ihre eigenen Eltern verweigern ihre den persönlichen Kontakt, wenngleich sie zustimmen, sie finanziell zu unterstützen. Als angeblich untreue Ehefrau wird sie zum Paria der Gesellschaft.
Ein Abbild der Zeit
Es sind mehrere Aspekte, die diesen Roman so bemerkenswert, so dramatisch und so – ich verwende diesen Begriff ganz bewusst – dokumentarisch machen.
Welche Zwänge herrschten, in die sich die Menschen damals wie selbstverständlich einfügten.
Wie die Rollen, die Pflichten und vor allem der Unterschied in den Rechten von Frauen und Männern aussahen. Darin wird man auch viel von dem erkennen, was heute zu Gewalt gegen Frauen führt, damals wohl oft nur dadurch unterblieben, weil Frauen wie Effie sich nicht gegen Bevormundung wehrten, sondern ihr Schicksal und die Entscheidungshoheit der Männer kritiklos akzeptierten.
Wie die Gesellschaft funktionierte, wie sie in Klassen eingeteilt war, deren Grenzen kaum zu durchdringen waren.
Ein früher Gesellschaftsroman und zugleich einer der bleibend eindrucksvollsten, weil man mit jeder Zeile ganz tief hineingeführt wird in die Zeit, weil man verstehen kann, wie das Zusammenleben damals funktionierte und weshalb es früher oder später dazu kommen musste, dass sich diese althergebrachten Umgangsformen auflösten.
Eine schöne Rezension für eines meiner Lieblingsbücher. Fontane entwickelt die Geschichte beinahe unauffällig, trotzdem wird man recht schnell in sie hineingezogen, Bravo