Buchbesprechung/Rezension:

Stefan Slupetzky: Polivka hat einen Traum

verfasst am 18.09.2013 | 1 Kommentar

Autorin/Autor: Slupetzky, Stefan
Genre: Kriminalromane
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Schon selbst gelesen? Gib hier Deine Bewertung zum Buch ab!
[Gesamt: 3 Durchschnitt: 3.7]

1. Es gibt ein Leben nach dem Lemming.
2. Es heisst Polivka.

Aus dem Slowenischen übersetzt heisst Polivka “Soße”, aus dem Tschechischen “Suppe”  (habe ich mir sagen lassen), was jedoch in beiden Fällen keinen direkten Rückschluss auf den Herrn Bezirksinspektor zulässt. Eher drängt sich mir ein Vergleich mit dem seligen Inspektor Kottan (vorzugsweise gespielt von einem Klon aus Buchrieser und Resetarits) auf. Die Mutter, der Kollege Hammel – sehr vertraut.

Nur der Chef vom Polivka fällt ein wenig aus diesem Vergleich, kämpft er doch weder mit Kaffeeautomaten noch heisst er Pilch; und obwohl viel mit dem Zug gefahren wird, hört man die Chris Lohner trotzdem nicht sprechen.

Wenn man, so wie ich, das Glück hat mit dem Stefan Slupetzy auf einer gedanklichen Wellenlänge zu sein, dann fängt man an zu lesen und zerkugelt sich schon nach wenigen (Ab)Sätzen. Man kann sich die Typen, die Slupetzky auftreten lässt, regelrecht vorstellen, ja man kennt sie gewissermaßen selbst.

Das fängt mit dem Zugschaffner an und findet den ersten Höhepunkt selbstverständlich in der Figur des Bezirksinspektors Polivka. Der liegt permanent im Clinch mit seinen Süchten (Tschick, Bier), seinem Chef und seiner Ex. Wobei er seine Ex schon längst vergessen hätte, würde ihm seine Mutter nicht dauern von ihr vorschwärmen. Was dann wiederum regelmäßig zu einem Tobsuchtsanfall vom Polivka führt und in einem Beisl endet.

Besondersn gern hat es der Polivka, wenn man ihn mitten in der Nacht aus dem Federn holt, nur weil es in der Franz-Josefs-Bahn einen Toten gegeben hat. Weil er aber schon da, ist macht er seinen Job ordentlich. Und dabei stellt sich für ihn ganz klar heraus, dass der Tote nicht Opfer ein Notbremsung wurde, sondern Opfer eines Mordanschlages. Die Blitzdiagnose hebt zuerst die Stimmung vom Polivka; die wird aber schnell wieder getrübt, weil

  1. sein Chef meint, dass er den Fall gefälligst schnell abschließen soll und nicht so einen Wind machen und ihm
  2. die gefesselte Frau (Sophie, Französin, toll ausehend) aus der Zugs-Toilette nach vollbrachter Befreiung durch den Polivka einfach davonläuft (nicht ohne ihm vorher einen Tschick abgeschnorrt zu haben).

Und dann wird es auch schon international: schnell stellt sich heraus, dass das Zugopfer in Wien einige Opfer-Kollegen in ganz Europa hat. Da hat anscheinend sich jemand darauf spezialisiert, einen ganzen Zug als Mordwaffe zu verwenden. Notbremse ziehen – das Opfer fliegt durch den Waggon – landet Kopf zuerst an einer Zwischenwand –  es macht einen Knack im Gnack und der Fall ist erledigt.

Gäbe es den Polivka nicht, würde nie einer eine solche Mordserie aufdecken.

Und es ist eine Mordserie: Polivka findet Sophie (wie es im Leben so geht, gleich in der Nähe von Paris) und die kann einiges erzählen über Morde in Zügen und vor allem über ihren Bruder – denn der ist, sagt sie, der Mörder. Spanien, Frankreich, Wien hat er schon unsicher gemacht und was kommt jetzt?

Selten habe ich eine so verwegene Krimigeschichte gelesen wie diese bis hierher. Wo sonst, bitte schön, kommt ein Wiener Inspektor quasi über Nacht nach Paris und landet inmitten einer Verschwörung, für die die Attribute “skurril”, “schräg”, “an-den-Haaren-herbei-gezogen”  zwar zutreffen, aber durchwegs gewaltig untertrieben sind. 

[Schnitt] Abschnitt 2 und jetzt weiß man, worum es wirklich geht, …

Als Krimi gibt der Roman wenig her. Als Paradies für Sprach- und Wortjongleure bzw. als Parodie auf Krimis dafür umso mehr.

Warum das alles so ist und was der Herr Slupetzky eigentlich vorhat: im 2. Kapitel erfährt man endlich – nachdem man sich schon hin und wieder ratlos am Kopf gekratzt hat – worum es in diesem Buch wirklich geht. Und diese wirkliche Story ist zwar schräg und skurril, aber (leider) gar nicht an den Haaren herbeigezogen.

… nämlich um das wohl unappetitlichste Kapitel der 2. Republik

Nur ein kleiner Tip: wer bei Worten wie unverfroren, schamlos, Fönwelle, kleiner Napoleon, Geldkoffer, Off-Shore u.ä. an eine gewisse Kleine Regierungskoalition in unserem Land denkt, die/der liegt völlig richtig. Und wer bei einem Herren namens Stranzer an einen bestimmten früheren ÖVP-Innenminister, EU-Abgeordneten und selbsternannten Korruptions-Aufdecker (nicht lachen, bitte) denkt, wird wissen, wer da in Brüssel den großen Macher markiert.

Ja, und dann liest man weiter und es kommt der ganze Ärger wieder hoch, den sich in den letzten Wochen, Monaten, Jahren verspürt hat, als dutzende blau/schwarze Typen vor Ausschüssen im Parlament oder vor Gerichten standen und es ihnen “nicht erinnerlich” war. Als das Wort “Unschuldsvermutung” zur sprachlichen Erblast Österreichs wurde.

Danke vielmals, Herr Slupetzky: so schön hätten wir das alles langsam verdrängen oder vielleicht sogar vergessen können (schließlich sind wir ja alle nur ÖsterreicherInnen); und dann kommen Sie daher und schon ist alles wieder “erinnerlich” , als ob es nie weg gewesen wäre.

Eine ganze Menge Leute kreuzen Polivkas Weg, Leute, in denen man unschwer deren Entsprechungen in der realen Welt erkennen kann – quasi ein Who-is-Who der Abstauber-Partie aus der Schüssel-Haider-Ära. Und wie wir wissen, war und ist das eine recht umfangreiche Partie. Zu lesen gibt es auch einiges über amtswegige Vorgänge bei der Polizei und darüber, wie dem Polivka die ganzen Vurschriften völlig wurscht sind.

Und irgendwo in diesem ganzen Gestrüpp muss auch der Grund zu finden sein, warum diese Leute einen Killer engagierten.

Die erdichtete Wahrheit

Stefan Slupetzky beschreibt diese nur zu gut bekannten Seilschaften und schreibt ihnen dabei Texte und Aktivitäten auf den Leib, die man denen absolut zutraut. Voll von Überheblichkeit und Narzismus. Und er schreibt über das, was wir uns tagtäglich bieten lassen – und ich hoffe, dass das alles nur erfunden ist …

Es ist eine irre/wirre/verwirrende Geschichte, die, das muss man sagen, mit jeder gelesenen Seite übersichtlicher wird. Am Ende hatte ich Probleme, wie ich dieses Buch für mich einordnen soll: Gut? Nicht so gut? Vielleicht sogar genial? I bin ma ned 100%ig sicher, entscheide mich daher für beinahe genial!

Zwischen-PS: Für Nicht-ÖsterreicherInnen ist die ganze Story sicher nicht leicht zu überblicken, zum Verständnis muss man einfach die monatelange Info-Flut der österreichischen Medien mitbekommen haben und den ganzen Irrsinn rund um den Finanzminister mit der Fönwelle, den Kanzler mit dem Mascherl, den Landeshauptmann mit dem Phaeton und alle ihre Freunde aus der Nähe miterlebt.

Nur kurz zum Thema Auftragskiller:

Der hat übrigens ein ziemliches Glück, der Killer: weil wenn erst einmal der Stronach der Chef von uns allen ist, dann gibt ja bekanntlich für “Beroufskilla” die Todesstrafe (das bedeutet dann wahrscheinlich einen Tag lang dem Fränk zuhören zu müssen).

Die Wahrheit ist, dass ich es überhaupt nicht abwegig finde, dass im Zuge dieser ganzen Korruptions-Bestechungs-Verfilzungs-Geschichten auch ein paar Auftragskiller durch unser Land streifen. Oder tun sie das vielleicht sowieso? Und der Fränk weiss davon?




Ein Kommentar

  • Elke sagt:

    Eines der unverfrorensten Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe :)

    @ Andreas: darauf zu hoffen, dass alles nur erfunden ist…

    Natürlich ist das alles Fiktion! Welcher österreichische Graf – bitte!! – soll denn im Gesundheitsministerium Lobbyismus betrieben haben? Insektenspray für alle ÖsterreicherInnen, für denn Fall, dass die bösartige asiatische Tigermücke, das hochansteckenden Knochenbrechfieber überträgt… :)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert



Top