Jan Kossdorff: Kauft Leute

AutorIn & Genre: Kossdorff, Jan, Romane
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Beginnen muss man mit dem korrekten Lesen des Buchtitels: Nein, „Kauft!Leute!“ ist falsch, so wie es auf dem Cover steht, stimmt es schon. So wie man sagt: „Kauft Autos“ oder „Kauft regionale Produkte“ so kann man auch sagen „Kauft Leute“. Wenn man zuvor die passende Geschäftsidee hatte. Obwohl: so neu ist die gar nicht, fragen Sie zum Beispiel all die Amerikaner mit afrikanischen Vorfahren, fragen Sie Barack Obama.
Jan Kossdorf behauptet also schon im Buchtitel, dass es von der Verwendung von Menschen als reine Produktionsfaktoren (siehe auch: Amazon, Bangladesh, et.al. ) zur Vermarktung als Handelsware wie Büroklammern oder Taschentücher kein allzu großer Schritt mehr ist. Und angesichts der, gerade jetzt wieder aktuellen, Meldungen muss man das nicht erst großartig hinterfragen. Damit hat er recht.
So etwas wie einen öffentlichen Menschen-Marktplatz mit Werbung in allen Medien gibt es zwar nicht, aber hinter geschlossenen Türen und vorgehaltenen Händen wird ungeniert mit der Ware Mensch gehandelt. Aber so richtig nehmen wir es erst zur Kenntnis, wenn wir Meldungen über spanische Arbeiterinnen und Arbeiter in lagerähnlichen Unterkünften samt faschistoidem Sicherheitspersonal lesen müssen.
Warum also nicht gleich ganz offiziell? Draussen vor der Stadt, ein neuer Shopping-Tempel mit ganz innovativem Angebot. So etwas gibt es doch nicht, ist alles reine Fiktion?
Vor den Toren Wiens eröffnet ein Supermarkt, der auschließlich Menschen im Angebot führt. Sie kommen aus allen möglichen Ländern, haben ganz unterschiedliche Lebenswege, aber eines gemeinsam: irgendwann hatten Sie Pech (selbstverschuldet oder nicht; egal) und verloren den Boden unter den Füßen. Und von einer gutsituierten Famile eingekauft zu werden, das ist doch allemal besser als in einer Obdachlosenunterkunft dahin zu vegetieren.
Christian wird gleich am ersten Tag im neu eröffneten HÜMANIA-Markt in Wien verkauft. Er soll ein Geschenk sein und wird nach München transportiert um dort seine Stellung (!) als Toyboy einer Hausherrin im einem Nobelvorort anzutreten. Aus seinem schön gestylten Gefängnis gibt es aber genauso geringe Ausbruchschancen wie aus einem richtigen Knast.
Cora hat eine Anstellung als Texterin bei Hümania gefunden. Sie ist also Angestellte, nicht Produkt. Und doch fragt sie sich schon bald, wie sie nur einen Job an so einem Ort annehmen konnte, aber das alltägliche Unerhörte hält sie wie in einem Bann auf ihrem Arbeitsplatz: sie ist gleichermaßen abgestoßen wie fasziniert. Sie ist damit wie die meisten Menschen: sensationsgierig und schockiert zugleich.
Aber das ganze HÜMANIA-Konzept ist ist doch wohl auf jeden Fall viel besser als früher war: keine Raubzüge von Sklavenhändlern mehr sondern Menschen, die sich quasi freiwillig dem/der Meistbietenden anbieten …
…denkt man und ist beruhigt.
Unglaublich/Unmöglich vs. Real/Alltäglich
Die Sache mit dem Menschenhandel ist aber keine Geschichte aus ferner Vergangenheit sondern eine aus unserer Gegenwart. Nicht so sauber, nicht so offiziell wie es hier im Buch erzählt wird, aber dafür umso realer.
Die ganze Zeit über hatte ich ein Gefühl der Beklemmung, auch jetzt, nachdem ich das Buch zu Ende gelesenen habe, ist es noch immer da. Die Bilder, die Jan Kossdorf beschreibt, sind eine Weiterentwicklung der Einrichtung eines Sklavenmarktes aus der Zeit des Kolonialismus zu einem professionell, nach allen Regeln der Marketingkunst, aufgezogenen Sklavenmarkt des 21. Jahrhunderts.
Und die Beklemmung war deshalb immer präsent, weil ich mir überhaupt nicht sicher bin, nein, weil im Gegenteil sogar fast davon überzeugt bin, dass es so etwas in irgendeinem Teil der Welt bereits gibt. Hier bei uns, im hochzivilisierten Mitteleuropa, natürlich noch nicht, da geben sich Schlepperbanden noch mit jungen Frauen zufrieden, die direkt an den nächsten Zuhälter geliefert werden. Ganz ohne Shoppingerlebnis und Marketingbudget.
Aber zu behaupten, dass so etwas wie ein Menschen-Supermarkt niemals entstehen könne, das wage ich nicht. Und denke dabei an die spanischen LeiharbeiterInnen, die mit Bussen nach Deutschland gekarrt wurden. Warum ließen sie das mit sich machen? Weil sie durch äußere Umstände gezwungen waren, gaben sie sich freiwwillig diesem modernen Menschenhandel hin. Oder die Mädchen, die von irgendwo in Osteuropa (oder Asien oder Afrika) mit Versprechen über ein tolles Leben in den goldenden Westen gelockt werden und dort als Sex-Sklavinnen enden.
Es schaudert mich. Zwar stehen all diese Bezüge zur Realität nicht in diesem Buch, aber das Lesen regt dazu an, sich Gedanken darüber zu machen. Nachzudenken, wie oft man in den Nachrichten über Menschenhandel hört und liest. Wie gesagt: es schaudert mich.