Joseph Zoderer: Die Farben der Grausamkeit
Autorin/Autor: Zoderer, Joseph
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Die Handlung, die in den Jahren rund um die Wende 1989 spielt, tritt in den Hintergrund, denn das Innenleben von Richard, dem zwischen zwei Frauen immer mehr Zerreissenden, überdeckt alles.
Wenn man dieses Buch gelesen hat, dann überlegt man es sich mehr als zwei Mal, ob man einen außerehelichen, oder überhaupt irgend einen, Seitensprung wagen soll. Denn nach der Lektüre wird man sich vor den Folgen fürchten. Es ist das Innenleben von Richard, dem dieser Roman gewidmet ist. Er liebt Selma, seine Ehefrau, und er liebt Ursula, die Geliebte. Die eine – Selma – wird er niemals verlassen, die andere – Ursula – hat ihn verlassen (wegen eines anderen, wie sie sagte).
Die Trennung von Ursula mag vielleicht rein äusserlich statt gefunden haben, doch in seinem Kopf, da ist ihre Verbindung noch immer präsent. Hinter jedem Baum, an jeder Strassenkreuzung, an jedem Tag und in jeder Nacht: das Bild von Ursula verblasst niemals.
Der Kauf eines alten Bauernhauses, weit weg von den Orten der Begegnung mit Ursula, ist seine Chance für eine Flucht. Eine Chance, die aber ungenutzt vorüber zieht, eine Flucht, die nicht gelingt. So einsam, so abgeschieden kann es am Berg gar nicht sein, so sehr können ihn die Umbauarbeiten am alten Gemäuer gar nicht ablenken – Ursula bleibt immer in seinem Kopf und steuert seine Gedanken. Und Selma, seine Ehefrau Selma, lebt daneben her, seine beiden Buben sind mehr Mitbewohner und weniger die eigenen Kinder.
Zoderer lässt keine Nische in den Gedanken Richards unentdeckt und breitet jeden Gedanken, jede Regung, jede Hoffnung und jede Niedergeschlagenheit in epischer Weise aus. Zwischendurch war es mir dann doch zu episch und verzweifelt, ich ließ ein paar Absätze aus und hatte nachher nicht das Gefühl, etwas versäumt zu haben – der verbliebe Rest an gelesenem Drama war noch immer ausreichend.
Eine neue Richtung im Geschehen bahnt sich an, als Richard, der bislang als Radiomoderator an einem festen Ort seiner Arbeit nachging, zum Auslandsreporter avanciert. Der Beginn einer Reise, die ihn wieder an den Anfang seines inneren Leidensweges zurück bringt – ins Berlin des Mauerfalls und zu Ursula.
Der zeitliche Rahmen scheint mir dabei etwas willkürlich gewählt. Ob sich dieses Drama nun im Jahr 1989, rund um den Fall der Mauer, abspielt, oder hundert Jahre weiter in der Vergangenheit oder in der Zukunft – es wäre zu keiner Zeit anders vergelaufen.
Viel Düsternis, viel Zerrüttung, viel Ausweglosigkeit. Zuviel? Ich weiß nicht.
Auf jeden Fall steckt es an, verdüstert die eigene Stimmung – und das muss man erst einmal wollen.
PS: der Hanser-Verlag wollte das Buch nicht ohne Überarbeitung veröffentlichen, der Haymon-Verlag schon. Welcher der beiden Verlage nun richtig lag, darüber muss man selbst entscheiden.
Hallo
Joseph Zoderer wird heuer in Meran bei StadtLesen aus einem seiner Bücher vorlesen. Ich freu mich drauf!
stadtlesen.blogspot.com