Buchbesprechung/Rezension:

Art Spiegelman: Maus
Die Geschichte eines Überlebenden

Maus
verfasst am 05.04.2022 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Geschichte, Spiegelman, Art
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Juden als Mäuse. Nazis als Katzen. Franzosen als Frösche. Opportunisten und Denunzianten als Schweine.

So viel man auch über den Holocaust und die Vernichtungslager gelesen oder gehört haben mag: wie Art Spiegelmann seinen Vater Wladek aus den Lagern berichten lässt, ist manchmal – nein: immer! – schier unerträglich.

Doch der Terror fängt schon weit früher an, als es die Gaskammern und die Vernichtungslager noch nicht gab. Es beginnt schon mit Wladeks Bericht über die Angst, die die Juden nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen mehr verließ, der das Grauen wie lebendig werden lässt. Immer in der Erwartung leben zu müssen, ermordet, verschleppt, deportiert oder geschlagen zu werden. Immer in Unklarheit, ob man seine Familie, seine Freunde noch einmal sehen wird, oder ob sie oder man selbst in die Hände der SS gefallen sind, verschwunden für immer.

“Maus” ist die außergewöhnliche und erdrückende Erinnerung eines KZ-Insassen, der alles miterlebte, der alles mit ansehen musste, der der Willkür der Nazis ausgeliefert war. Hunger und Angst, jeden Tag.

Wie es ist, wenn man das überlebt hat, wenn man weiß, dass Millionen anderer, unzählige Menschen, die man kannte, vergast, erschossen, verbrannt wurden, wie die Überlebenden des Holocaust mit ihren Erinnerungen umgehen, das alles werden wir nie begreifen können. Nur wenige haben den Holocaust überlebt und was sie erzählen, das bleibt für uns alle, die wir es nicht erleben mussten, völlig unverständlich.

Das Ende der Naziherrschaft war für viele aber noch nicht das Ende des Leidens. Der Sieg der Alliierten hatte zwar den Nationalsozialismus beendet, der Antisemitismus aber blieb.

Wer überlebte, musste nach der Befreiung einen schweren Weg zurück in ein normales Leben finden. Zur Gänze wird das wohl nur den wenigsten gelungen sein. Auch Wladeks weiteres Leben bleibt bis zu seinem Tod voller Gedanken und Erinnerungen an das Verlorene, das er- und überlebte Grauen hat ihn für immer zu einem anderen Menschen gemacht, es ist für ihn der Fluch des Überlebens.

Obwohl wir in Mitteleuropa jeweils nur kurze Strecken zurücklegen müssten, um an einen der Orte dieser Verbrechen zu gelangen, obwohl es so viele Erinnerungsstätten gibt, obwohl wir die Bilder kennen, bleibt  der Holocaust insgesamt völlig jenseits aller Vorstellungskraft denkender Menschen. Die Einschränkung auf “denkend” ist deshalb wichtig, weil es ja, und das anscheinend in zunehmender Zahl, noch immer bzw. schon wieder Nazi gibt, die das Geschehen verleugnen.

Den Holocaust zum Thema einer Graphic-Novel zu machen, lässt zunächst daran denken, dass damit der Erinnerung nicht der adäquate Rahmen und nicht die adäquate Form gegeben werden. Dann aber stellt sich gerade diese Form als eines der eindringlichsten Bücher, als die eindringlichsten Erinnerungen eines Holocaust-Überlebenden heraus, die man sich denken kann.

Ein besonders irritierendes Detail der Biografie Wladeks ist, dass erst, obwohl selbst Opfer der schlimmsten Form von Rassismus geworden, dennoch selbst Rassist ist.

Auf das Buch wurde ich aufmerksam durch ein Verbot: In einem Schulbezirk in Tennessee, USA wurde Anfang des Jahres 2022 das Buch im Lehrbetrieb verboten. Liest man, was als Begründung dafür herhalten musste, dann versteht man, dass in dieser Angelegenheit wieder einmal die bigotten, scheinheiligen Klerikalen zwar wegen zu viel nackte Haut enorm erzürnen, dieselben Typen dann aber Rassismus und Antisemitismus kaltblütig als Redefreiheit definieren. Wie sehr diese “Moralbegründung” erlogen ist, wird man feststellen, wenn man das Buch liest: Denn von nackter Haut kann man nichts sehen; von nackter Gewalt gegen Juden higegen schon.

Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 1992!




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