Buchbesprechung/Rezension:

Jacques Chessex: Ein Jude als Exempel

verfasst am 02.07.2011 | 1 Kommentar

Autorin/Autor: Chessex, Jacques
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Eine wahre Geschichte. Genauso wahr wie erschreckend ist die Geschichte, die Jacques Chessex erzählt: über die Abgründe der menschlichen Seele, über das Ende der Menschlichkeit, über den irrationalen Hass, über das Töten, über das Wegsehen.

Im Jahr 1942 ist Europa von den raubenden und mordenden Banden der Nazis überzogen. Nirgends sind jene sicher, die die braune Ideologie ablehnen, nirgends sich jene sicher, die von den Braunen als unwertes Leben eingestuft worden sind.

Mitten drin in diesem Chaos scheint die Schweiz ein Hort der Ruhe und der Gerechtigkeit geblieben zu sein, die letzte verbliebene Zuflucht für die Verfolgten. Und es ist wahr, keine Panzer, keine Sturzkampfbomber, keine Infanteriedivisionen überschreiten die Grenzen der Eidgenossenschaft.  Doch die braune Flut benötigt nicht das Militär um ein Land zu erobern, es reicht auch die Flut des braunen Gedankenguts. Da ist der viel bessere, der viel subtilere Weg, der Weg von Innen, auf dem man keine Hindernisse aufbauen kann, denn er führt über die Gedanken der Menschen.

Hass, Neid und Missgunst sind angekommen in der Schweiz der frühen 1940er-Jahre, und die Juden sind die, denen man nur zu bereitwillig alles Schlechte unterstellt, die Schuld an Arbeitslosigkeit und Hunger sind, auch wenn dies alles durch eigenes Unvermögen und eigenes Fehlverhalten geschehen musste.

Im April des Jahres 1942 wird in dem kleinen Ort Payerne in der Westschweiz der Viehhändler Arthur Bloch von Schweizer Nazis heimtückisch in eine Falle gelockt und erschlagen. Weil er Jude ist. Die Saat der Hassprediger, die von der deutschen Gesandtschaft dabei tatkräftigt unterstützt wurden, ist bei den Unzufriedenen, bei den Dummen aufgegangen. Ein früherer Pastor, glühender Antisemit, hat seine Tiraden verbreitet und sie fielen auf fruchtbaren Boden.  Es reichte damals aus, eine angebliche jüdische Weltverschwörung zu erfinden und schon fanden sich Willige, die dabei sein wollten, diese Plage zu vernichten, auszumerzen (Und die, die sich dieser Bewegung nicht anschließen wollten, die sahen weg, unternahmen nichts).

Die Juden, ja die Juden sind Schuld an Arbeitslosigkeit und Not, sie nehmen den guten Schweizern ihre Arbeit und ihre Ehre. Nur kurz können sich die Mörder Blochs in ihrem arischen Ruhm sonnen, denn nun, spät erst, weil das Verbrechen ist schon geschehen, wird die schweizer Polizei aktiv und die Täter werden bald danach verhaftet.

Jacques Chessex war dabei, war als 8-jähriger Bub Zeitzeuge, kannte viele der Beteiligten und brauchte mehr als 60 Jahre um erst dann darüber zu sprechen. Es wurde ein Aufschrei wider die Verblendung und Niedertracht, ein Aufruf für ein Miteinander und für ein Füreinander, ein schonungsloses Protokoll der Geschehnisse vor und nach dem Verbrechen. Nicht einmal 100 Seiten umfasst diese Erzählung, aber sie sagt alles und hinterlässt das Gefühl der sprachlosen Ohnmacht und des ungläubigen Entsetzens.

Die Nazis hatten es in dieser Zeit geschafft, den Kontinent mit Not und Elend zu überziehen und gleichzeitig durch die Propaganda und die Bereitwilligkeit der Massen die Schuld dafür den Opfern anzuhängen. Staatsgrenzen waren (und sind auch heute noch) kein Hindernis für Hass und Verblendung und auch die Schweiz, diese Insel des Friedens, wurde durchzogen und unterwandert von Faschismus und Antisemitismus. Willkommen im Klub der Nationen, die dabei waren, sich aber gerne als Opfer sehen – es ist eine zweifelhafte Ehre, aber wichtig, sich darüber im Klaren zu sein und es niemals zu vergessen.

Und heute? Heute habe wir wieder diese Rechtsaussen-Prediger, die für unbewiesene und unbegründbare Hasstiraden willige Zuhörer finden (oder Minarett-Videospiele ins Netz stellen, oder eine Weltreligion undifferenziert als Quelle allen Übels darstellen – Stichwort: „Daham statt Islam“,…). Die Zahl derer, die ihre verqueren Gedanken auch in Taten umsetzten mag gering sein, aber auch damals fing es mit wenigen an.




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