Buchbesprechung/Rezension:

Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein

verfasst am 11.05.2011 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Fallada, Hans, Romane
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Im Herbst 1946 schrieb Hans Fallada in unfassbaren knapp vier Wochen dieses monumentale Werk des deutschen Widerstandes im NS-Regime. Manche von uns werden vielleicht bereits für die Lektüre der knapp 700 Seiten länger benötigen. Kurz nach Beendigung der Arbeit segnete er das Zeitliche als Folge eines Herzinfarktes, den sich der manische Vielschreiber durch jahrelangen exzessiven Alkohol-, Morphium-, Nikotin-, Schlaftabletten- und Kokaingenuss redlich erworben hat.

Nun wurde das Originalmanuskript des Romans erstmals aufgelegt und wird über 60 Jahre nach der Publikation zu einem Weltbestseller (in England wird das Taschenbuch sogar im Supermarkt verkauft!) und einem Buch, das man/frau einfach gelesen haben muss!

Hans Fallada schildert anhand von Gestapo-Akten das Schicksal des Berliner Ehepaars Quangel (tatsächlich hießen sie Elise und Otto Hampel, er literarisierte sozusagen eines dieser Dokumente des Grauens) und ihren einsamen Kampf gegen das verbrecherische Nazi-System. Otto Quangel, Mitglied der Arbeitsfront, ist Werkmeister in einem Tischlereibetrieb der im Jahre 1940 Kisten für den Bombentransport herstellt – zwei Jahre später sollten es nur noch Särge sein.

Seine Frau Anna ist in der NS-Frauenschaft aktiv und kümmert sich um den gemeinsamen Haushalt. Die Beiden sind salopp formuliert klassische Mitläufer, ohne jedwede Ambitionen. Dies ändert sich jedoch schlagartig, als sie die Nachricht vom Tode ihres einzigen Sohnes auf dem Schlachtfeld erhalten.

Otto Quangel beginnt Postkarten mit systemfeindlichen Inhalten zu schreiben und in belebten Treppenhäusern abzulegen, um den Deutschen die Augen zu öffnen. „Mutter! Der Führer hat mir meinen Sohn ermordet…Mutter! Der Führer wird auch deine Söhne ermorden, er wird noch nicht aufhören, wenn er Trauer in jedes Haus gebracht hat…“

Zwei Jahre lang schaffen sie es über 200 Karten zu verteilen, die größtenteils postwendend der Gestapo übergeben werden. Dort sitzt der diabolische Kommissar Escherich und schnürt das Netz um die Quangels enger und enger. Es werden sich noch weitere Unschuldige darin verfangen. Das Ende ist absehbar, trotzdem entwickelt das Buch eine atemlose Spannung, die vom „New Yorker“ mit den Romanen von John Le Carre verglichen wird. Meinem Empfinden nach muss sich der Meister des Spionageromans in diesem Fall allerdings hinten anstellen.

Die absolute Größe des Werkes liegt in der Schilderung des Alltags im nationalsozialistischen Deutschland, exemplarisch dargestellt durch das Wohnhaus Jablonskistraße 55, wo die Quangels zu Hause sind. In diesem Wohnblock tummeln sich Kleinganoven, Säufer, Hitlerjungen, SS-Männer, ein pensionierte Kammergerichtsrat und eine jüdische Geschäftsfrau. Fallada zeichnet ein Bild der Gesellschaft, in der nicht so sehr der Antisemitismus (obwohl natürlich vorhanden) dominiert, sondern die Gier der Menschen alles an sich zu raffen was geht und dies ohne Rücksicht auf Verluste und vor allem dem völligen Fehlen von Menschlichkeit.

Vom literarischen Standpunkt ist „Jeder stirbt für sich allein“ ganz und gar kein Meisterwerk. Mehrmals regiert die Schablone, schnellt ein vorlautes Attribut vor oder schimmert der Drang zur Typenzeichnung durch, aber dies ist kein Manko, sondern verstärkt die Wucht und Wirkung dieses Romans, immerhin geht es ja um den Widerstand der „kleinen Leute“.

Und ich bitte nochmals zu bedenken, dass er sich nur vier Wochen Zeit zugestand alles zu Papier zu bringen.

Nicht verhehlen möchte ich an dieser Stelle, dass die Lektüre auch eine Erfahrung der Qual darstellt, weil sich unweigerlich laufend die Frage stellt, wie man/frau sich selbst in diesen „Situationen“ verhalten hätte. Und die Antworten darauf machen erschaudern!

Erschütternd auch die Darstellung der Gestapo, des Justizsystems und des Spitzelwesens im Deutschen Reich, ihrer Praktiken und ganz besonders die handelnden Personen.

“Es hat dem Verfasser auch oft nicht gefallen, ein so düsteres Gemälde zu entwerfen, aber mehr Helligkeit hätte Lüge bedeutet“, schreibt Hans Fallada im Vorwort.

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

PS: Leider kann ich nur 5 Punkte vergeben, sonst würde ich 21 anschreiben, denn genau so kurz hat Fallada, ein „noch“ relativ unbekannter Gigant der deutschsprachigen Literatur des letzten Jahrhunderts tatsächlich daran geschrieben.




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