Buchbesprechung/Rezension:

Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott

verfasst am 03.06.2013 | 4 Kommentare

AutorIn & Genre: Horváth, Ödön von, Romane
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Diese Frage muss ich mir stellen: wie ist es möglich, so viele Lesejahre hinter sich zu bringen, ohne dabei ein einziges Mal etwas von Ödön von Horváth zu lesen? Ich kann mich nicht erinnern, ob es vielleicht die Folgen einer literarischen Zwangsbeglückung im Gymnasium war? Jedenfalls ist das Ergebnis, dass mir dieser literarische Schatz bis jetzt verborgen blieb. Ein Versäumnis.

Wie gut ist es, solch ein Versäumnis einfach nachholen zu können, da machen es die Bücher einem doch um einiges leichter als sonstige Ereignisse im Leben. Womit die Einleitung zu diesem Buch auch schon erfolgt ist: Versäumnisse, innerer Antrieb, äußere Zwänge – nur einiges von dem, was Ödön von Horváth in diesem zwar nur rund 140 Seiten kurzen aber umso eindringlicheren Roman beschreibt.

Und zugleich schreibt er über Hoffnung und Verzweiflung, Ohnmacht und Inititiative. Oftmals in einem Satz, mit wenigen, schnörkellosen Worten. Schnörkellos, doch intensiv.

Das Jahr 1937, das Jahr der Erstveröffentlichung, gibt die Richtung vor und ist das Papier, auf dem dieses Buch geschrieben ist: in Deutschland bereits von den Nazis verboten, in Österreich den Austrofaschisten im Wege, lässt Horváth die damalige Gegenwart den gesellschaftlichen und moralischen Rahmen bilden. Erzählt er, wie eine ganze Generation Heranwachsender dabei ist, ihre Zukunft zu verspielen. Erzählt er, wie diese Propaganda-Maschinerie die dummen und verachtenden Lehren bis in die hintersten Gehirnwindungen transportiert, sie dort verankert, quasi mit dem eigenen Denkvermögen verschweißt, damit sie aus diesen Gehirnen nie wieder zu entfernen sind.

Und es gelingt: die Jungen, wie die Alten, sind dabei, lassen sich gerne hineinziehen in diesen Strudel aus Hass und Vorurteilen, Pseudowissen und derber Dummheit, akzeptieren alles, was sie hören als Wahrheit und glauben, ganz so wie man es ihnen immer wieder sagt, sie seinen die Elite der Menschheit, stünden über allen anderen.

Wenige bleiben von der Propaganda verschont; der Lehrer ist einer von ihnen. Doch gegen die uniforme Masse der Mehrheit hilft nur der Rückzug in die eigenen Gedankenwelt, wie er meint. Wer will schon als einzelner gegen alle anderen auftreten; was kann ein einzelner schon bewirken?

In der Schulklasse des Lehrers spiegelt sich alles wieder. Hass und Dumpfheit. Wer anders denkt, wird denunziert oder dem wird Gewalt angetan. Bis dann wirklich eine Bluttat geschieht. Woraus bei einigen, die noch nicht ganz in den Bann der Dumpfheit gezogen wurden, der Mut zur Rebellion erwächst.

Ein kleines Buch, das ein Kriminalroman, ein Gesellschaftroman und ein Roman über innere Werte zugleich ist.  

Und in jedem dieser Genres ist es ein großes Buch.




RSS-Feed für Kommentare zu diesem Beitrag 4 Kommentare


  • Kommentar von  Björn Treber am 07.04.2022 um 23:09 Uhr

    Als ich das Buch zum ersten Mal in der Schule gelesen habe, hat mich vor allem die Thematik sehr interessiert. Danach habe ich immer mehr begriffen wie sehr auch die einzelnen sehr knappen Sätze -wie Wolfgang sie anspricht- dabei helfen, die kollektiven Dynamiken verständlich zu machen. Auch stilistisch unterschätzt man die prosaischen Formen Horváths (und ich stimme da 54books zu, dass er ein zu Unrecht unterschätzter Prosaist ist). Gewisse Formulierungen jedoch sind aber vermutlich -aus heutiger Sicht- wirklich schon etwas ausgetragen wie altes Gewand: “ Alles Denken ist ihnen verhaßt. Sie pfeifen auf den Menschen! Sie wollen Maschinen sein, Schrauben, Räder, Kolben, Riemen – doch noch lieber als Maschinen wären sie Munition: Bomben, Schrapnells, Granaten. Wie gerne würden sie krepieren auf irgendeinem Feld! Der Name auf einem Kriegerdenkmal ist der Traum ihrer Pubertät.“ Aber man sollte ihn dennoch noch immer lesen und ist es nicht gut, dass er noch immer (laut Berichten meiner beiden Brüder) noch immer in österreichischen Schulen unterrichtet wird?

  • Kommentar von  Wolfgang am 10.01.2019 um 15:44 Uhr

    Ich habe auch lange gebraucht, bis ich das Buch zur Hand genommen habe. Horvath soll es während seines Aufenthalts in Henndorf am Wallersee in kurzer Zeit geschrieben haben. Was mich am meisten beeindruckt hat, ist die Intensität seiner knappen Sätze. Ein Kind unserer Zeit habe ich gerade bestellt.

  • Kommentar von  Andreas am 04.06.2013 um 08:34 Uhr

    Danke für den Tipp! Hab es schon auf meine Leseliste geschrieben

  • Kommentar von  www.54books.de am 03.06.2013 um 21:28 Uhr

    Ein überragendes Buch und ein absolut unterschätzter Schriftsteller! Wenn es Dir gefallen hat unbedingt auch noch “Ein Kind unserer Zeit” lesen – meiner Meinung nach noch besser.


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