Buchbesprechung/Rezension:

Hugo Portisch: Was jetzt

verfasst am 04.01.2012 | 2 Kommentare

Autorin/Autor: Portisch, Hugo
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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[Gesamt: 5 Durchschnitt: 3.8]

Hugo Portisch hat den Österreicherinnen und Österreichern bis in die 1990er-Jahre hinein fast im Alleingang Zeitgeschichte in Büchern und TV-Dokumentationen vermittelt und erklärt. Die aktuell angespannte Lage Europas bewog ihn zu einer Stellungnahme. Heraus kam ein kleines Büchlein, eine Art niedergeschriebener Vortrag, mit dem etwas irreführenden Titel “Was jetzt” (ohne Fragezeichen).

Hugo Portisch ist einer der wichtigsten Zeitzeugen der Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges.  Die von ihm gestalteten TV-Serien wie Österreich I und II, die Bücher dazu und auch die Bücher zum Weltgeschehen – alles steht bei mir in der Bibliothek. Logisch, dass da auch “Was jetzt” dazu gehört.

Was man bekommt, ist eine sehr anschauliche, zusammenfassende Darstellung, wie Europa in den vergangenen 66 Jahren von einem seit Jahrhunderten kriegerischen und in Einzelinteressen zerrissenen Kontinent zu einer gemeinsamen Union ohne Grenzen wurde. Also ein Büchlein, das mit dem Titel “Was war bis jetzt” weitaus besser charakterisiert und betitelt wäre. Vor allem weniger irreführend.

Wenn im Klappentext steht, dass Portisch “die Antworten kennt und sie uns nicht schuldig bleibt”, dann freue ich mich darüber, finde aber nichts entsprechendes auf den folgenden Seiten.  Seine Begegnungen mit den wichtigen Persönlichkeiten der vergangenen Jahrzehnte sind natürlich interessant zu lesen, doch dafür hätte es m.A. eines anderes Buches bedurft.

Fazit: eine sehr eingängige Analyse vom Beginn der Montanunion in den 1950ern über die EWG bis hin zur heutigen EU mit all ihren Problemen. Welche Fehler wurden dabei gemacht, was wurde verabsäumt, aber auch was sind die positiven Errungenschaften, was hat die Union für Europa und für die einzelnen Menschan an Positivem gebracht. 

Das Kapitel “Lösungen”, das gemäß Buchtitel eigentlich der Hauptinhalt sein sollte, kommt allerdings zu kurz (also: in Wahrheit gibt es dieses Kapitel gar nicht, nicht einmal einen Abschnitt).

Es ist also weniger eine Anleitung mit Lösungsideen, sondern soll wohl vielmehr so etwas wie ein Motivationsschub sein nach dem Motto: “Leute, wir schaffen das, das wäre doch gelacht” . Es ist ein Plädoyer für die Einheit und die gemeinsame friedliche Zukunft Europas und allein deshalb schon wichtig. Und es ist ein Aufruf, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen um die Europäische Union zu stablisieren und aus Ihr (auch) eine Union der Herzen zu machen.

PS: dass gerade jetzt unser Nachbarland Ungarn langsam aber sicher zu einer Einparteiendiktatur verkommt, ist nicht nur schlimm für die Ungarn (die anscheinend wieder einmal um ihr Recht nach Freiheit und Demokratie betrogen werden). Es ist vielmehr eine auch neue, nach meiner Meinung noch viel wichtigere Herausforderung für die EU, deren demokratische Grundsätze in Ungarn gerade mit Füssen getreten werden – vielleicht bleibt ja neben der ganzen Milliarden und Billionen-Herumschieberei noch ein wenig Zeit,  sich auch damit zu beschäftigen.




2 Kommentare

  • Margarete Unger sagt:

    Ich pflichte Herrn Scheibenpflug darin bei, dass Herr Dr.Portisch einen grandiosen historischen Bogen quer und über Europa geschlagen hat. Was aber – bei allem Respekt – geflissentlich übergangen bzw.nur als kleine Fußnote erwähnt wird ist die Tatsache, dass sich die Griechen in den EURO hineingeschwindelt haben, Betrug somit salonfähig geworden ist. Darauf kann es leider keine befriedigende Antwort geben und so bleibt sie uns auch Herr Dr.Portisch schuldig. Trotzdem ein Danke für dieses kleine und doch große Buch

  • Paul Scheibenpflug sagt:

    Der Titel “Was jetzt” könnte als glatte Themenverfehlung verurteilt werden, als Täuschung für alle, die zwischen “Was wird uns die Zukunft bringen” und “was müssen wir ändern” taumelnd nach Antworten suchen. Doch bietet das Büchlein “unerwartete” Orientierungshilfen und moralische Stütze aus dem lebendigen Geschichtserleben dieses Ausnahmejournalisten. Nicht der einzelne Jour mit seinen spektakulären Kuriositäten sondern der Blick auf die historische Kette, das geschichtliche Band, lässt die Tiefe der Gegenwart, die Verbundenheit mit der Vergangenheit spüren und sich daraus im ersten Schritt Zuversicht und hoffentlich auch die Kraft für eine konstruktive Gestaltung der Zukunft schöpfen.
    Nicht der laute journalistische Beitrag, erst der kontemplative (Rück)blick auf die Geschichtlichkeit der uns wortwörtlich fesselnden und in Bann haltenden Ereignisse, ermöglicht es uns, uns neu zu sammeln, uns neu zu orientieren, Ziele ins Auge zu fassen und dann wieder zu verfolgen. Portischs Beitrag entschleunigt, indem er vom Wasserfall der Tagesberichterstattung Abstand schafft. Er gibt keine Antwort auf die Frage was jetzt, aber er führt den Leser in eine bessere, weil tiefgründiger Ausgangslage.
    Dafür bin ich ihm als Vater, Großvater, und Mitbürger persönlich dankbar !

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