Buchbesprechung/Rezension:

Auster, Paul: Mann im Dunkel

verfasst am 22.09.2010 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Auster, Paul
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Vier Jahre Bürgerkrieg in den USA, Millionen Tote. Nach den Präsidentenwahlen im Jahr 2000 ist eine neue Realität entstanden, in der nicht Bin Laden oder fundamentalistische Terroristen die Bedrohung sind, sondern in der Amerikaner gegen Amerikaner kämpfen.

Es geht nicht um Science Fction, es geht um Gedanken und um das, wohin die Phantasie unsere Gedanken leiten kann. Die Phantasie entspringt den Gedanken von August Brill. 72 Jahre alt, früher Literatur-Kritiker und Journalist, jetzt nach einem Unfall unfähig, sich mit einem zerschmetterten Bein frei zu bewegen. Seine schlaflosen Nächte produzieren in seinem Kopf die Geschichte einer Welt, in der alles anders abläuft, als wir es kennen.

Kein 9/11, keine Flugzeuge, die sich in die Twin-Towers stürzen, kein Krieg gegen Saddam. Es ist der – reale oder vermutete – Wahlbetrug im Bundesstaat Florida, der George W. Bush das Präsidentenamt sicherte und damit acht Jahre einleitete, die wohl als eines der dunklen Kapitel in die US-Geschichte eingehen werden. Dunkel waren sie in den Geschichtsbüchern, noch dunkler werden sie in Brills Phantasie: Sezession, Bürgerkrieg, drohende Vernichtung.

In August Brills erdachter Realität ist es ein Mann namens Owen Brick, der in einem Erdloch erwacht, aus dem es für ihn kein Entrinnen aus eigener Kraft gibt. Er hört in der Ferne Sirenen, Gewehrfeuer, Schlachtenlärm, kann sich das alles aber nicht erklären. Er trägt eine Uniform, eine unbekannte Uniform, und erkennt daran die Rangabzeichen eines Korporals. Sein Sergeant befreit ihn endlich aus seinem Gefängnis und noch immer weiß Brick nicht, wie er an diesen Ort kam.

Für ihn sind Irak, Afghanistan und 9/11 Realität, nun hört er zum ersten Mal vom Bürgerkrieg, hört, dass er der eine Mensch ist, der seine Heimat vor dem endgültigen Untergang retten kann. Er ist derjenige, der den Menschen töten soll, der Kraft seiner Gedanken erst dieses Unheil in der parallelen Welt erschuf und der selbst nun ihn, Owen Brick, wählte um alledem ein Ende zu setzen: August Brill. In dieser surrealen Welt macht Brick sich auf nach Wellington um sich dort seinem Auftrag zu stellen.

Nur eine der beiden Realitäten, die man in diesem Buch findet. Die andere ist die wahre, die, in der Brill, seine Tochter und seine Enkeltochter gemeinsam unter einem Dach leben. Der alte Mann mit dem  kaputten Bein, der seine Frau Sonia verloren hat und die Erinnerung an sie will immer wieder an die Oberfläche kommen. Miriam, die das Ende ihrer Ehe auch nach 5 Jahren noch nicht überwunden hat, Miriam die an ihrem Buch schreibt, der Biographie von Rose Hawthorne und sich in ihre Arbeit als Dozentin vergräbt. Katja, die junge Frau, die sich mit den Gedanken an den Tod von Titus, mit dem sie fünf Jahre ihres Lebens teilte, quält.

Die Realität “Owen Brick” verschwindet, als ihr Erfinder sie mit einem Gedankenfetzen beendet. Seine Gedanken schweifen immer wieder ab, sei es zu einem Film den er gemeinsam mit Katja gesehen hatte und dessen Handlung erneut in für ihn abläuft, sei es zu Erinnerungen aus seiner Vergangenheit, sei es zu Überlegungen über sich und seine Familie die er heute hat oder die Familie, die er früher hatte, über diejenigen, die noch da sind und die, die schon gegangen sind.

Erst langsam findet er wieder Abstand zu seiner Phantasie und kann sich seinem wahren Leben und seiner wirklichen Lebensgeschichte stellen.

Es ist eine wort- und wortbildgewaltige Erzählung, die einnimmt und fesselt. Viele ineinander verwobene Ebenen führen zu immer neue Spannungen und Wendungen: das Vermengen von Traum und Wirklichkeit, fließende Grenzen zwischen Gedanken und Realität. Ein Buch, das mich völlig vereinnahmt hat und erst mit dem letzten Buchstaben wieder frei gegeben.

PS: es ist gut, daß das Zeitalter des G.W. Bush vorüber ist Auch wenn es in unserer Welt nicht gleich in einen Bürgerkrieg führte, so haben seinen anderen Kriege doch tiefe Spuren hinterlassen. Mit den Folgen und mit seinem Vermächtnis müssen wir noch lange leben – und seine ideologischen Erben veranstalten gerade wieder Tea-Parties. Bedrückend, wenn ein Fudamentalismus gegen den anderen Fudamentalismus antritt und jeder fühlt sich dabei im Recht.

PPS – ein amerikanischer Kabarettist lässt G.W.Bush nach dessen Sieg bei der Wiederwahl im Jahr 2004 (sinngemäß) sagen: “Ein schönes Gefühl, wenn man zum ersten Mal eine Wahl gewonnen hat”.

 




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