Christian v. Ditfurth: Rabens Rache
Der vierte Fall für Karl Raben

Autorin/Autor:
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Online bestellen:

Ein Leben unter dem Radar in Nazideutschland im Jahr 1939. Karl Raben ist Kommissar bei der Gestapo, zugleich aber leistet er Widerstand gegen das Regime und bringt damit nicht nur sich, sondern alle Menschen um ihn herum in Lebensgefahr.
Mit diesem Fall führt Ditfurt uns Leserinnen und Leser tief hinein in die Anatomie des Nazistaates. Am Vorabend des Überfalls auf Polen bereiten sich die führenden Verbrecher wie Goebbels, Himmler und Heydrich auf das vor, was nach dem als sicher anzunehmenden Sieg über das Nachbarland geschehen soll. Massenexekutionen, Vertreibungen, Ermordung der Juden und der polnischen Führungsschicht. Aus den Reihen der Polizei und Gestapo werden Einsatzkommandos zusammengestellt, die hinter der Front diese Aufgabe übernehmen sollen. Und Raben ist dabei.
Die Jagd nach den Mördern geht weiter
Raben ist noch immer dabei, die Mörder des kommunistischen Redakteurs Kurt Esser zu jagen. Der Mord geschah im Jahr 1932, nach der Machtübernahme der Nazis wurden die Mörder begnadigt. Da die gleichgeschaltete Justiz nicht für Gerechtigkeit sorgt, beginnt Raben eine mörderische Jagd, einige der Mörder sind bereits direkt von Raben oder durch von ihm geschickt konstruierte Intrigen ums Leben gekommen. Das ist der Aspekt der Karl Raben-Reihe bei dem die Grenze zwischen Widerstand und Mord verschwimmt, wenn Raben Selbstjustiz übt. Ist denn Gewalt in einem Regime der Gewalt ein legitimes Mittel des Widerstandes?
Ein Mord in Goebbels`Propagandaministerium eröffnet die Gelegenheit für Raben und seinen Kollegen und Freund, den Kriminalrat Georg Lichtigkeit, die Mörderjagd abzuschließen und gleichzeitig diesen neuen Fall zu lösen. Als sich herausstellt, dass dieser Mitarbeiter homosexuell war, ein Verbrechen an sich im Nazistaat, beginnen die beiden unter den Augen von Heydrich, Himmler und Goebbels eine Ermittlung, die zu keinem Ergebnis zu führen scheint. Eine risikoreiche Ermittlung, denn die Nazibonzen wollen und werden auf jeden Fall und mit allen Mitteln verhindern, dass öffentlich bekannt wird, dass unter den Augen von Goebbels ein Homosexueller einen wichtigen Posten besetzte.
Rabens Spiel mit seinem Leben und dem seiner Freunde geht nur deshalb noch gut, weil er Hitler das Leben gerettet hat (aus einem der früheren Romane). Aber Heydrich ist sich im Klaren, dass Raben einiges verbirgt und ein falsches Spiel treibt; die Frage ist nur noch, wann Raben den entscheidenden Fehler macht, mit dem er sich und alle anderen in den Abgrund zieht.
Leben im Nazistaat
Ditfurt versucht, die Brutalität, die Gewissenlosigkeit und den Fanatismus der Mehrheit der Deutschen und vor allem der Angehörigen von SS, SS und SD nachzuzeichnen. Wenn diese Leute morden oder über ihre abartigen Vorstellungen von „Untermenschen“, „unwertem Leben“ reden und sich als die Krone der Schöpfung wähnen. In diesen Abschnitten kann man sich schwerlich dagegen wehren, ein tiefes Gefühl des Abscheus für das zu empfinden, was damals Alltag war. Und zugleich ein Gefühl der Unsicherheit, denn sich vorzustellen, damals gelebt zu haben wift die Frage auf: was hätten wir getan, wie hätten wir uns verhalten?
Mit Karl Raben hat Christian v. Ditfurth einen Charakter erschaffen, der zugleich ein Gegner des Regimes, also ein „Guter“, ist, zugleich aber auch ein „Böser“ ist, der ohne zu zögern jemanden tötet, wenn es seine Pläne erfordern.
Aber natürlich wird man den Teil, in dem Raben Selbstjustiz betreibt, als gerechtfertigt ansehen, denn nur so passt es in die Story. Und, ganz ehrlich: auch wenn ich es im Grundsatz ablehne, irgendetwas mit Gewalt zu lösen, scheint es mir hier aus der Perspektive Rabens durchaus gerechtfertigt sein. Dass Karl Raben sieben Jahre nach dem Mord noch immer auf der Jagd ist, ist hingegen auch schon wieder eine Art von Fanatismus.
Zusammengefasst
Insgesamt ist der Roman weniger ein Kriminalroman, sondern mehr ein Roman über das Leben und Überleben im „Dritten Reich“. Uniformen und Gleichschaltung prägen den Alltag. Spitzel lauern hinter jeder Ecke und niemand wagt es, frei zu reden. Da ist es für die meisten doch einfacher, die Phrasen nachzuplappern, die aus Goebbels‘ Propagandamaschinerie das Land überschwemmen und sich der Ideologie der eigenen Überlegenheit anzuschließen.
Nur ein wenig wird meine Begeisterung dadurch geschmälert, dass es Karl Raben allzu oft gelingt, der Gestapo und damit Heydrichs langem Arm zu entrinnen. Auch wenn er der gefeierte Held ist, der den „Führer“ rettete und dessen Gesicht man in ganz Deutschland erkennt: dass sich irgendjemand so viel Ungehorsam und Widerstand leisten konnte, scheint mir doch etwas unrealistisch. Denn die Nazis beseitigten bekanntermaßen auch ihre gefeierten Helden, sobald diese von „rechten“ Weg abwichen.
Die Karl Raben-Reihe bleibt aber dessen ungeachtet auch mit diesem vierten Roman eine durchwegs empfehlenswerte Mischung aus Kriminalroman und Einblick in die Vorgänge während der Nazidiktatur. Die Verknüpfung mit realen Ereignissen und realen Personen verleiht der Handlung zudem einen Anschein von Zeitgeschichte. (und ist mit alledem, natürlich, auch immer ein bedrückendes Beispiel dafür, was zwangsläufig geschieht, wenn solche Leute an die Macht kommen).