Buchbesprechung/Rezension:

Theodor Plievier: Stalingrad

Stalingrad
verfasst am 10.05.2025 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Plievier
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Wer bisher meinte, dass man aus einem gedruckten Buch keine Geräusche heraushören kann, dass einem keine Gerüche in die Nase steigen, dass man wird nach diesem Buch seine Meinung geändert haben.

Was man aus Stalingrad und aus Hitlers Überfall auf die Sowjetunion an Filmen und Bilder, meist in Schwarz-Weiß, kennt, ist schon grausam genug. Theodor Plievier schrieb nur zwei Jahre nach dem Ende des Weltkrieges mit diesem Buch alles auf, was man aus diesen Bildern nicht erkennen konnte.

Das alles ist so dicht, so brutal, so gnadenlos direkt niedergeschrieben, dass man beinahe wirklich die Schreie hören kann, das Rasseln der Panzerketten, den Donner der Geschütze; und dass man den Pulverdampf riechen kann, den Gestank der Toten, die meisten kaum noch als Menschen erkennbar; und man schier spüren kann, wie der Boden bebt, wenn die russische Armee an Wolga und Don ihre unwiderstehliche Gegenoffensive beginnt, die erst in Berlin enden wird.

„Stalingrad“ ist ein Buch, das man nur schwer in einem Zug durchlesen kann. Diese Masse an realistischen Szenen aus dem Menschenschlachthof an der Ostfront lässt sich, jedenfalls für mich, immer nur für ein paar dutzend Seiten ertragen. Dann benötige ich eine Pause, in der ich mit einem Blick aus dem Fenster wieder einmal froh sein kann, in dieser Zeit nicht gelebt zuhaben.

„Stalingrad“ ist ein Roman, der zugleich eine Chronik des unvorstellbaren Grauens ist. Anhand von Dokumenten, aus Gesprächen mit Augenzeugen, aus Briefen, die von den Eingeschlossenen vermeintlich an ihre Familien geschickt wurden, tatsächlich aber von der Roten Armee erbeutet wurden, schuf Theodor Plievier eine dramatische Anklage gegen den Krieg und gegen die, die Menschen in sinnlose Schlachten schicken. Er begann bereits im Jahr 1943, im russisichen Exil, an dem Roman zu schreiben, die endgültige Fassung erschien erstmals im Jahr 1948.

Darin verbindet Plevier die historischen Fakten mit dem Schicksal fiktiver Charaktere. Fiktiv, aber rekonstruiert aus den Quellen, die dem Autor zur Verfügung standen und damit erschütternd nahe an dem, was tatsächlich geschah.

Es ist das Schicksal der Männer der 6. Armee, die in Stalingrad von der Roten Armee eingeschlossen wurde.  Protagonisten sind Männer, die in dieser Ausweglosigkeit, ungeschützt in der eisigen Kälte und konfrontiert mit dem Sterben ihrer Kameraden ausharren müssen und nur noch auf ihren eigenen Tod warten können. Der Soldat, der in eine Strafkompanie versetzt wurde, die zum Transport der unüberschaubaren Zahl der Toten eingesetzt wird. Der Kommandant eines Panzerregiments, der am Ende nur noch über zerschossenen Stahl und verkohlte Leichen kommandiert. Der Militärarzt, der knöcheltief im Blut steht und irgendwann nichts mehr hat, um das Leiden der Verwundeten zu lindern. Wie sie hungerten, wie sie sich ausmalten, dass irgendeine Panzerarmee zu ihrer Rettung durchbrechen würde, wie ganze Kompanien auf eine Handvoll von Überlebenden zusammengeschossen wurden.

So brutal und quälend es ist, das zu lesen, so wuchtig ist das, was man daraus liest: dass ein Krieg in den Köpfen weniger entsteht und in den zerschossenen Leibern vieler endet.

In Stalingrad mussten die Mitglieder der 6. Armee erfahren, dass ihr aller Leben nichts mehr als Propagandamaterial für Hitler, Goebbels und Göring waren. Von denen, die dort in den Schützengräben lagen, fühlte sich ganz sicher niemand wie einer der Helden, zu denen sie die Propaganda stilisieren wollte.

Ein Antikriegsroman, der Krieg in einer so direkten und ungeschminkten Form beschreibt, wie ich es bisher noch nicht gelesen habe. Wenn es schon so bewegend und erschütternd ist, darüber zu lesen, während man selbst gemütlich daheim sitzt – wie brutal und irrsinnig muss es sich dann für die Menschen dort in Stalingrad angefühlt haben …

Erschreckend umso mehr, als Krieg im Jahr 2025 noch immer/schon wieder Alltag ist. Ob Ukraine, Gaza, Sudan, gerade erst wieder Indien und Pakistan – Menschen werden wie Spielfiguren in den Tod geschickt, um die Triebe von machtgierigen Herrschern zu befriedigen.

Wäre es anders, würde man die Putins, Netanjahus oder wie immer sie heißen, selbst an die vorderste Front stellen? Ganz sicher.

PS: das ausführliche Nachwort beinhaltet eine Kurzbiografie des Autors und umfangreiche Informationen darüber, wie das Buch bei seinem Erscheinen wirkte und wie es von Zeitgenossen eingeordnet wurde. Eine überaus wertvolle Ergänzung zum Roman, die auch den Inhalt udn dessen Entstehung besser verständlich macht




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