Svend Fleuron: Strix
Die Geschichte eines Uhus
Autorin/Autor: Fleuron, Svend
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Strix Bobo ist eine erfahrene Eule, die Herrscherin über den Wald. Ihr Palast, das ist eine Höhle in einer alten Eiche. Es ist schon das erste Kapitel, in dem man die ganze Faszination begreift, die von diesen Tieren ausgeht, wenn in den kleinsten Details ihr Anmut, ihre beeindruckende Erscheinung beschrieben wird, wenn man erfährt, wie ihnen nichts entgeht, was im Wald geschieht.
Der Roman „Strix“ entstand vor mehr als einhundert Jahren und doch beschreibt er schon ganz genau das, was jede Eule, jedes Tier des Waldes auch heute erleben muss. Denn wenn Strix Bobo unter den Tieren eine beherrschende Rolle einnimmt, so kann sie doch nichts gegen die Menschen ausrichten, die mit ihren Sägen und Maschinen immer weiter vordringen. Die Menschen nehmen den Eulen nicht nur den Lebensraum weg, sie jagen sie auch, nennen sie Konkurrenten, die jagen, was die Menschen für sich beanspruchen. Konkurrenten, die man einfach vernichten kann, weil es niemanden kümmert. Zu allem Überfluss gibt es auch noch die Menschen, die die Eier und die frische geschlüpften Jungen aus den Gelegen stehen, sie plündern, um die Beute an Sammler zu verkaufen.
Das Leben, der Wald, die Jahreszeiten, der Nachwuchs, die Gefahr – alles liest und erlebt man aus der Sicht der Eule und meint zu verstehen, wie absonderlich und bedrohlich alles wirken muss, was von den Menschen ausgeht. Jetzt könnte man natürlich einwenden, dass diese Vermenschlichen von Tieren ja gar nicht deren wirklichem Verhalten entspricht, doch es ist immer noch die beste Art und Weise, uns Menschen begreiflich zu machen, wie sich unser aller Verhalten auswirkt. Jedenfalls ist eine Möglichkeit, das alles jenen begreiflich zu machen, die in der Lage und bereit sind, über die eigene Nasenspitze hinauszudenken.
Die Lebensgeschichte von Strix Bobo fesselt von Beginn an. Wenn die Erzählweise es mit sich bringt, in ihr ein denkenden und fühlendes Wesen zu sehen, dann erfährt man zudem auch sehr viel über ihr Jagdverhalten, wie Eulen zueinander finden und sich um ihren Nachwuchs kümmern, wie sie mit scheinbar endloser Geduld auf ein Zeichen, einen Laut oder eine Bewegung wartet, um sie zur nächsten Beute zu führen.
Strix Bobo wird in diesen Beschreibungen lebendig, man sieht sie förmlich, wie sie unbeweglich auf einem Baum sitzt, wie sie mit großen Augen ihr Ziel fixiert, wie sie lautlos durch die Luft gleitet. Dass der tägliche Kampf ums Überleben dazu gehört, dass es Jäger und Gejagte gibt, das hat die Evolution mit sich gebracht. Strix Bobo und die anderen Räuber des Waldes müssen jagen, um zu überleben. Intensiv, grausam und brutal sind diese Schilderungen der Auseinandersetzungen auf Leben und Tod, in denen Jäger zu Gejagten und Gejagte zu Jägern werden.
Dann liest man wieder, wie das Vorrücken der Menschen die Lebensräume der Eulen verändert und wie die großen Vögel darauf reagieren. Hier die Natur, in der sich alles im Gleichgewicht hält, dort die Menschen, die sich damals wie heute anmaßen, überall einzugreifen und dabei mutwillig und fast immer unwiederbringlich zu zerstören; und nie ist es genug, immer mehr von der Natur und den Lebensräumen werden vernichtet.
Wie Strix Bobo, vielleicht ist sie die letzte ihrer Art, mit diesem Gegner umgehen muss, welche Chance sie hat – das ist ein unglaublich mitreißende Geschichte und es ist völlig offen, wie es am Ende ausgehen wird.
Svend Fleuron beschreibt das alles so realistisch und eindringlich, dass es für mich nicht ausbleiben kann, immer mehr Zorn gegenüber den Menschen zu empfinden, die skrupellos für immer zerstören, nur um für einen kleinen Augenblick etwas zu gewinnen. Oft muss ich das Buch beiseitelegen, wenn mich das Gelesene wieder unglaublich berührt, wenn die Hilfslosigkeit der Eule gegenüber der Skrupellosigkeit der Menschen richtiggehend spürbar wird.
Dieser Roman erzählt beispielhaft, wie es dazu kam, dass wir heute buchstäblich um jede einzelne Tierart kämpfen mussten, um wenigstens noch ein kleines Stück der Natur zu erhalten. Oft ist das vergeblich und die Natur wird leerer – die Eulen sind selten geworden.
Was man liest, ist so aktuell, als ob es im Jahr 2023 geschrieben worden wäre und nicht schon im Jahr 1919. In seinem Bezug zur Realität erinnert mich der Roman an jene Naturfilme, in denen der Lebensweg eines Tieres, man hat ihm dafür einen nett klingenden Namen verpasst, nachgezeichnet wird. „Strix“ ist in dieser Hinsicht so etwas wie ein Vorfahre solcher Dokumentationen.
Ein großartiger Naturroman, der getragen ist von unglaublich genauen Beobachtungen, so vielen Details, die einem oberflächlichen Betrachter entgehen würden und alles zur literarischen und berührenden Biografie eines beeindruckenden Lebewesens zusammengefügt.