Buchbesprechung/Rezension:

Joachim B. Schmidt: Kalmann

Kalmann
verfasst am 13.02.2023 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Kriminalromane, Schmidt, Joachim B.
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Kalmann Odinssons Welt ist einfach strukturiert. Das hat ihm sein Großvater beigebracht: immer nur einen Schritt weiter denken, weil Kalmann nicht so gut ist beim Denken und beim Planen. Nun hat er eine Blutspur entdeckt, mitten in der Schneewildnis irgendwo in den Bergen von Island und denkt an den Großvater.

Als Kind hatte es Kalmann schwer, in der Welt der Halbwüchsigen und der Erwachsenen, die oft zu kompliziert für ihn war. Da stand dann der Großvater hinter ihm, auf den konnte Kalmann immer bauen und zeigte ihm die Wege, die Kalmann einschlagen konnte, um sich zu behaupten. Einfach war es nicht. Und manchmal wurde der auch Großvater richtig wütend, wenn Kalmann wieder einmal besonders ungeschickt oder vergesslich war.

Schwieriger ist es jetzt, weil der Großvater alt geworden ist und seine Erinnerungen verloren hat und weil er, wenn man es genau nimmt, die Welt schon verlassen hat. Großvater musste ins Pflegeheim umziehen und Kalmann wohnt alleine in Großvaters Haus. Er ist jetzt schon über dreißig Jahre alt, aus dem kleinen Kind ist ein großes Kind geworden, und nicht besonders gut darin, mit den anderen Menschen Kontakte zu pflegen. Er ist zu langsam, zu seltsam für die anderen Menschen in Raufarhöfn und das versteht er auch. Aber die anderen nehmen ihn wie er ist, er gehört dazu, weil alle wissen, dass er eben etwas anders ist, als sie selbst. Wenn er alleine in der Wildnis unterwegs ist oder alleine im Wohnzimmer sitzt und sich irgendetwas im Fernsehen ansieht, dann hätte er schon gerne eine Frau, eine Familie, viele Kinder; aber das ist wohl nur ein unerfüllbarer Wunsch. Zudem ist Einsamkeit doch sowieso das, das seine Heimat, dort ganz im Norden Islands, ausmacht.

Zurück zu dem großen Blutfleck im Schnee: Die Polizistin Birna kommt ins Dorf, um zu klären, was überhaupt geschehen ist. Kalmann meint zwar, dass es auch von einem Tier gewesen sein kann, aber weil er immer schon mit den Erinnerungsstücken an seinen Vater unterwegs ist – eine Pistole, ein Cowboyhut (so kalt kann es gar nicht sein, dass er den gegen eine Mütze austauscht) und ein Sheriffstern – ist er stolz, dass ihn Birna auch gleich zum Hilfssheriff macht. Im Dorf nennen sie ihn ja schließlich immer schon den Sheriff von Raufarhöfn und er selbst fühlt sich auch wie einer.

Inzwischen glauben viele, dass das alles etwas mit dem Verschwinden des Hotelbesitzers Róbert McKenzie, dem reichsten Mann in der Gegend, zu tun hat, aber in dem dichten Schneefall sind schnell alle Spuren verdeckt und einen Toten hat noch niemand gefunden.

Viele Nachrichtenportale bieten seit einiger Zeit “Nachrichten in einfacher Sprache” an. So ähnlich ist es, wenn Kalmann diese ganze Geschichte in seinen Worten, in seiner schlichten Sprache erzählt – ohne banal oder gekünstelt zu klingen, gelingt es Joachim B. Schmidt, nur mit der Wahl der Worte und des Ausdruckes, diesen Kalmann Odinsson so zu beschreiben, dass man über ihn Bescheid weiß, versteht, wie er die Welt sieht und ihn schon nach wenigen Absätzen mögen wird. Man versteht, wenn er unsicher ist und wie es dazu kommt; was ihn wütend macht (das kommt manchmal vor und dann wird er richtig zornig und man könnte Angst in seiner Nähe bekommen); was in seinem Leben von Bedeutung ist und was er am liebsten nicht hören und nicht sehen möchte. Man versteht aber auch, wie schwer es für seine Mitmenschen sein kann, ihm etwas so zu erklären, dass er es versteht.

Kalmanns einfaches Gemüt bringt es mit sich, dass er sich oft in kindlichen Fantasien verirrt, womit manchmal nicht klar ist, ob er gerade an etwas nur denkt, oder ob es tatsächlich so geschieht. Jedenfalls: er macht sich auf, seine Rolle als Sheriff auszufüllen und ist bei den Nachforschungen an vorderster Front mit dabei, wobei ihm seine Bekanntschaft aus dem Internet mit Nói, für Kalmann ist es sein bester Freund, sehr hilfreich ist. Dabei wohnt Nói weit weg in Reykjavik und getroffen haben die beiden einander noch nie …

Ein Roman, in dem vieles steckt: die Einsamkeit im Norden, die Gemeinschaft der Menschen, so fernab der geschäftigen Zentren, dieser eine unter ihnen, der trotz seiner Schwächen und Nachteile, die ihm die Natur mitgab, ein gutes Leben führt, dazu ein Kriminalfall, der mit Spannung durch die Geschichte führt. Dann und wann liest man Szenen, die zum Schmunzeln sind, wenn Kalmann und andere Menschen manchmal nur mit Mühe eine für beide Seiten verständliche Ausdrucksweise finden. So ist das eben, wenn alle zwar die gleichen Augen und Ohren haben, aber nicht alle dasselbe damit sehen und verstehen.

Mit seiner anderen, direkten Art über die Dinge nachzudenken, kommt Kalmann dann auch auf die Lösung in einer Weise, die den anderen wohl nie eingefallen wäre.

Berührend und überraschend, einfühlsam und hoffnungsfroh. Es müssen nicht immer die großen, die komplizierten Gedanken sein; manchmal ist das Einfache der Schlüssel.

PS: so wie er es beschreibt, kann ich sehr gut verstehen, warum Joachim B. Schmidt nach Island auswanderte.




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