Buchbesprechung/Rezension:

Glavinic, Thomas: Lisa

verfasst am 04.03.2011 | 3 Kommentare

AutorIn & Genre: Glavinic, Thomas, Romane
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Ein Mann zieht sich mit einem Sohn in eine einsame Hütte zurück und möchte, dass dies geheim bleibt. Denn er hat Angst vor Lisa. Lisa, eine Mörderin, die quer über den Globus eine Spur der Verwüstung gezogen hat. Sie soll ihn keinesfalls finden. Seine einzige Verbindung zur Außenwelt sind seine Mitteilungen und Erzählungen, gerichtet an „imaginäre“ ZuhörInnen via Internetradio.

Die Angst vor Lisa ist groß. Immerhin hat sie schon in seiner Wohnung eingebrochen und auch dort ihre DNA hinterlassen. Grausame Gemetzel gehen auf ihr Konto. Und so sitzt der Ich-Erzähler vor dem Internetradio und gibt seine Angst und seine Paranoia preis. Allabendlich „schnorchelt“ er sich zig Gramm Koks in die Birne und trinkt exzessiv Wein und Whiskey. Völlig  zugedröhnt spricht zu seinen Zuhörerinnen und Zuhörern. Ganz praktisch, wenn man bedenkt, dadurch keine unmittelbaren Reaktionen erhalten und sich mit unerwünschten Antworten auseinander setzen zu müssen.

Die Gedanken an und über die Verbrecherin Lisa erzählt der Mann via Internet-Livestream. Und das in einer Geschwindigkeit und rasanten Gedankensprüngen von einem Thema zum anderen. Dazwischen muss er schnell wieder mal eine Line ziehen, damit er das Grauen bis zum Auftauchen der Mörderin durchhält. Dann muss er auch wieder aufspringen und nach seinem achtjährigen Jungen sehen, bevor er sich wieder mitteilt, und dabei über  die Schönheit von Frauenfüßen, – kurze Unterbrechung der Mitteilung durch Nasenbluten aufgrund der verkoksten, gereizten Nasenschleimhaut, – abgehobenes Esskulturgefasel, Kindererziehung und anderen Alltagsereignissen erzählt. Kaum ein Thema, dass den Menschen nicht berührt,  lässt er aus. Dann springt er natürlich wieder zu Lisa und ihren Bluttaten. Sie. Die Unbekannte. Verursacherin seiner Angst, Paranoia und Einsamkeit.

Der Ich-Erzähler berichtet auch über den mit den Ermittlungen betrauten Kriminalisten Hilgert. Dieser nimmt alle möglichen Beschwerlichkeiten auf sich, um der Mörderin endlich auf die Schliche zu kommen. Doch Hilgert ist seit einigen Wochen wie vom Erdboden verschluckt. Existiert dieser Hilgert überhaupt?

Und das Ende? Unvorhersehbar. Irritiert über die Geschichte musste ich erst mal selbst reflektieren, was der Autor da eigentlich mitteilt. Der Schreibstil reißt die LeserInnen hinein in ein schnelles Tempo, man/frau glaubt sich schon selbst auf Koks. Zur Geschwindigkeit tragen auch die vielen Themen bei, die der Erzähler in den Cyberspace schickt, wenn er hin und her springt zwischen Drogen und Verantwortung gegenüber seinem Sohn, zwischen Angst und Sich-Verloren-Fühlen.

Und so lässt Thomas Glavinic die LeserInnen mit seinen spitzfindigen Betrachtungen über einen selbst mit einem unterschwelligen Gefühl von Beklemmung nachdenklich zurück. Unbedingt lesen!




RSS-Feed für Kommentare zu diesem Beitrag 3 Kommentare


  • Kommentar von  Dr. Berthold janecek am 22.08.2011 um 14:13 Uhr

    Nachdem ich Herrn Glavinicens ‚Lisa’ gelesen habe, sehe ich ein, dass ich die Rolle der Insekten ein wenig grob & falsch einschätzte. Vor allem über Insekten der Nacht ließe sich da nämlich sicher ein kleiner entomermanistischer Pfappleich schreiben. Falls Sie gar keine Idee haben, was ein Pfappleich denn sei, müssten Sie bei der ‚Gesellschaft zur Stärkung der Verben’ nachschauen.
    Ein kleines Publikatzerl wäre auch über die Interjektionsserien denkbar. Kreativ – damit wieder einmal ein Modewort dasteht. Da schlägt G. noch meinen Chef, der oft über ein ‘Houdipoudi’ nicht hinauskommt.
    Die Verwendung von ‚Moskitos’, statt ‚Gelsen’, die Beschränkung auf ‚ficken’, statt der reichhaltigen österreichischen Synonyme (es muß ja nicht gleich ‘patschestern’ sein, das Sie nicht einmal beim ‘Google’ finden), könnten Verbeugungen vor deutschen Leserkreisen sein. Sei’s drum.
    Chinesen verwenden am Telefon allerdings für „Ja!“ weder „woooo“ noch „wooooo“. Das käme wahrscheinlich von ‚wo3’ = ‚ich’. (Ich finde meine chinesischen Comperl-Schriftzeichen nicht!) Besser wäre wohl ‚wei4’, was dem „Hallo!“ am Telefon entspricht.

  • Kommentar von  Dr. Berthold janecek am 16.08.2011 um 11:55 Uhr

    “Einen Stachel für die Insekten

    ZITAT: “Aber es gibt auch richtig kranke [SIC!] Sachen, Insektenkalender zum Beispiel Wer stellt so was her? Jetzt machen wir mal einen Kalender mit schönen großen Ameisen und Käfern und Hornissen? Wem fällt so etwas ein, und wer kauft es und warum?”

    Dies steht, so eine meiner liebsten Bekannten, in ‘Lisa’ von Herrn Glavinic (einem Autor, von dem ich – das gebe ich zu – erst heute etwas erfahren habe.). Als Chironomidologe muß ich da protestieren. So ein schöner, vielleicht auch ultrabizarrer, stratosteiler & gigageiler Zuckmückenkalender, der schlüge schon manches Nackerpatzl um Oberweiten. Na, vielleicht les ich ‘Lisa’ doch einmal, um mir, wie’s im Modedeutsch heißt, selbst ein Urteil bilden zu können. Auf jeden Fall empfehle ich ‘The Chironomid Home Page’: http://insects.ummz.lsa.umich.edu/~ethanbr/chiro/Directory/direct_b.html.

    Hochachtungsvoll!
    Dr. Berthold Janecek”

  • Kommentar von  Birgit_Wo am 17.03.2011 um 22:30 Uhr

    Ich hab das Buch bislang nur auf meinem Nachttisch liegen und kam bisher leider nicht dazu, es zu lesen. Freu mich aber, besonders nach deinem Beitrag oben, jetzt schon sehr drauf!


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