Buchbesprechung/Rezension:

Glavinic, Thomas: Das Leben der Wünsche

verfasst am 17.08.2009 | 3 Kommentare

AutorIn & Genre: Glavinic, Thomas, Romane
Buchbesprechung verfasst von:

glavinic-das-leben-der-wuen„Mein nächster Roman wird wieder etwas dunkler und düsterer werden“, sagte Thomas Glavinic auf der Frankfurter Buchmesse 2007. Der Mann hat Wort gehalten! In „das Leben der Wünsche“ ist es wieder der Inhalt, der irritiert, der einen oftmals stutzen läßt. War da nicht was? Ist da was? Wenn ja, was ist da im Hintergrund?

Alles beginnt wie im Märchen in einem Park, mit drei Wünschen, die die Hauptperson Jonas frei habe. Diese auf den ersten Blick erfreuliche Nachricht wird aber nicht von einer zauberhaften Fee überbracht, sondern von einem mysteriösen Mann mit Goldkettchen und Bieratem. Man zweifelt auch als Leser an dieser ungeheuerlichen Behauptung.

Aber die Erinnerung an diese Begegnung, am Beginn des Romans lässt einen nicht mehr los, denn es ziehen dunkle Schatten in der Geschichte auf, und reißen den Leser mit hinab in die Abgründe.

Jonas (35) führt eigentlich ein durchschnittliche Lebens: Frau (Helen), zwei Söhne (Tom & nein nicht Jerry, sondern Chris), Texter in einer Werbeagentur, die auch schon bessere Zeiten gesehen hat.Und beinahe hätte ich es vergessen, eine Langzeitaffäre mit Marie, also hat auch die Beziehung zu Helen schon bessere Zeiten gesehen. Marie lässt Jonas erkennen, dass seine Ehe ungenügend ist. Der Wunsch mit ihr zusammenzuleben wird immer stärker, die Verantwortung ihren Familien gegenüber hält die beiden aber davor zurück.

Seit der Begegnung mit dem geheimnisvollen „Wünscheerfüller“ steigen seine Aktien permanent, sein Sohn Chris, wegen dessen geringen Wachstum sich die Eltern Sorgen machen ist plötzlich vier Zentimeter größer.

Doch plötzlich scheint Jonas Katastrophen nur so anzuziehen. Er wird Zeuge eines Tankstellenüberfalls, bei dem der Tankwart mittels Schuss mitten ins Gesicht getötet wird. Die Stadt, in der sich die Geschichte zuträgt, wird auf Grund eines Dammbruches meterhoch überflutet. Eine Seilbahngondel stürzt ab und 162 Menschen finden den Tod. Und der Tod rafft auch völlig überraschend seine Frau Helen hinweg, sie stirbt durch plötzlichen Herzstillstand in der Badewanne. Bei der Beerdigung stellt sich heraus, dass auch Helen seit einigen Monaten eine Affäre hatte. Der Mann kommt kurze Zeit später bei einem Bergunfall ums Leben und wird von Eichhörnchen aufgefressen!

Jonas geht als einziger nicht an Bord eines Flugzeuges, welches beim Start zerschellt und in Flammen aufgeht.

Ein bisschen viel für die Zeitspanne von ein paar Wochen, finden sie nicht? Doch damit nimmt die Wunscherfüllungsapokalypse erst ihren Anfang. Hat dies alles mit dem geheimnisvollen Fremden zu tun? Könnten die Ereignisse die geheimen, unterhalb des Bewusstseins schlummernden, niemals bewusst gedachten, geschweige denn ausgesprochenen Wünsche von Jonas sein? Können sie trotzdem wahr werden?

Vor allem der Schluss des Romans weist für mich in diese Richtung.

Gibt es einen absoluten Wunsch unter den Wünschen, der bei allen Menschen im Prinzip gleich ausgeprägt ist? Und gibt es nach dem sehnlichsten Wunsch eine weiteren absolut letzten Wunsch, sozusagen den Wünsch aller Wünsche? Liegt in der absoluten Wunschlosigkeit die einzige Möglichkeit diese fatale Entwicklung aufzuhalten?

„Das Leben der Wünsche“ ist ein wunderbar dunkles, verstörendes Werk, welches den Leser und seine grauen Zellen in alle möglichen Richtungen zu jagen vermag und sehr viele Fragen stellt. Seit Jahren gibt es in der deutschsprachigen Literatur keinen wandlungsfähigeren und innovativeren Schriftsteller, als den in Wien lebenden Thomas Glavinic. Man hat den Eindruck, dass es ihm unbändige Freude bereitet, sich und sein Publikum mit neuem zu überraschen, obwohl er der Form des Romans stets treu bleibt.

Glavinic, der für jeden seiner Romane einen eigenen Ton entwickelt, kehrt in seinem neuen Buch zu einer nüchtern, beschreibenden Sprache zurück, die bereits sein „Hauptwerk“, den Roman „Die Arbeit der Nacht“ prägte. Die beiden Werke dürften einen nicht sichtbaren inneren Zusammenhang aufweisen, der über die Namensgleichheit der Hauptpersonen Jonas und Marie hinausgeht.

Wem „die Arbeit der Nacht“ gefällt, dem wird auch „das Leben der Wünsche“ zusagen, sie sind aber auch unabhängig voneinander zu lesen. Was glauben sie ist schlimmer? Alle Wünsche erfüllt zu bekommen oder keine mehr zu haben? Dies dürfte die zentrale Frage des Romans sein und die muss jeder für sich selbst beantworten.




3 Kommentare

  • Chris DeNicola sagt:

    Das Buch der Auflage, die ich mir gekauft habe (9/2009) hat auf der Seite 189, Kapital 19, einen Druckfehler: Mitten im Satz und mitten im Wort hört das Kapital 19 auf:

    (..)dann herausstellt, dass ich dich hiermit schon verloren
    habe, dann, tja muss ich es hinneh

    Die Zeile bricht mitten im Wort ab. Ein weiterer Text fehlt.

  • elke sagt:

    Grad gelesen und: hab mir über lange Strecke gedacht, das Buch liest sich für mich irgendwie “eckig”, viele Kapitel, teilweise nur ein paar Zeilen lang, hab keine Zusammenhänge erkannt. Aber dann hat mich diese Schreibweise gefangen.
    Zwischendurch hatte ich den Verdacht, ein Herzenswunsch wird erfüllt und dann kommt es doch ganz anders, als gewünscht bzw. gedacht?
    Ein Leben ohne Wünsche wäre furchtbar! Immer schön neugierig bleiben auf das, was man/frau sich noch wünschen und noch kommen könnte!
    Ein sehr lesenswertes Buch, nicht nur der Geschichte wegen, sondern weil dieser – für mich – ganz “eigene” Schreibstil sehr interessant ist!

  • Sündi sagt:

    Kleiner Nachtrag: Glavinic hat es mit dem Leben der Wünsche wieder auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft.
    Weiters sind aus Österreich Wolf Haas (“Brenner und der liebe Gott”), Clemens J. Setz (“Frequenzen”) und Thomas Stangl (“Was kommt”) vertreten.
    Das gehört also auch alles unbedingt gelesen!

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