Christian Kracht: Der gelbe Bleistift
Autorin/Autor: Kracht, Christian
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Sündi
Der Journalist und Schriftsteller Christian Kracht gilt in seiner publizistischen Heimat Deutschland als sogenannter Dandy. Diese menschliche Spezies erscheint mir als eine Symbiose aus Eleganz, Provokation, Individualismus und Kälte. Und so lesen sich auch die asiatischen Reiseberichte, die als Kolumne „Der gelbe Bleistift“ zwischen 1992 und 1999 in der „Welt am Sonntag“ erschienen sind. Wenn sie sich sensibles, ethnologisches Einfühlen in fremde Kulturen erwarten, dann sind sie hier eindeutig falsch.
„Weil wir uns nichts aus Weißwein machten, tranken wir Ende Januar eine Flasche Entre deux Mers aus Gläsern, in denen Eiswürfel schwammen, und sahen auf den Mekong. Wir saßen auf einem Rasenstückchen, der Fluss war breit und träge, darüber hingen am blauen Himmel kleine Drachen. Zum Wein aßen wir Unmengen knallroter Erdbeeren, und meine Begleiterin rauchte Zigaretten. Es war windstill, und die Palmen bewegten sich nicht.“ Da wird kein Wort über das Schreckensregime der Roten Khmer verloren, die noch bis vor wenigen Jahren unter niemand Geringerem wie dem alten Blutsäufer Pol Pot einen der grässlichsten Völkermorde der jüngeren Geschichte verübt haben.
Eine weitere Reise führt Kracht ins pakistanische Peshawar, wo er eine Waffenfabrik besichtigt und weil man schon mal da ist, auch gleich eine Panzerfaust inklusive Granaten um acht Dollar erworben wird – ein Schnäppchen. Bei den unmittelbar darauf folgenden Schießübungen wird die Topografie des Hindukuschberglandes abrupt verändert: „Der Hügel war weg, einfach so.“ Kracht merkt noch lapidar an, „dass Schiessen wie Kartoffelchips essen ist, weil man davon erst genug kriegen kann, wenn einem schlecht ist.“
Wenn das Wetter in Bangkok unerträglich wird, weil die Regenzeit begonnen hat, jettet Kracht, wie meist in Begleitung seiner „Begleiterin“, einfach mal so nach Japan und zeigt sich angenehm überrascht bezüglich des Serviceniveaus im Dienstleistungsgewerbe. „Außerdem erhielt ich als Willkommensgeschenk vom Hotel Okura zwei große graue Schuhbeutel aus flauschigem Nicki, versehen mit dem eleganten Schriftzug des Hotels. Eingepackt waren die Schuhbeutel in mehrere Lagen Seidenpapier und einer Schachtel, die man normalerweise zum Verschenken von Zobelmänteln verwendet.“
Ein anderes Mal geht es nach Goa, um die Urkolonie des Hippietum und die sich noch am Leben befindlichen Großväter der Bewegung zu beobachten, dann wieder im Luxusreisezug „Orient Express“ mit der eigenen Mutter durch den Dschungel zwischen Bangkok und Singapur.
Phnom Pen, Bangalore, Bali, Sri Lanka, Hong Kong, Burma, Laos und überall wimmelt es nur so vor Menschen und Touristen. Nicht zu vergessen eine Reise ins Land unseres Fußballeuropameisterschaftsqualifikationsgegners Aserbeidschan auf der Suche nach dem schwarzen Gold. Da wird in Baku Kaviar mit „schöpfkellengroßen Plastiklöffeln“ geschlemmt, während gleich daneben zerlumpte Gestalten „Klebstoff aus Papiertüten schnüffelten“ und sich „beschämt mit Glasscherben die Arme aufkratzten.“
Christian Kracht pflegt den Schreibstil der distanzierten Ästhetik und er weiß den Bleistift sehr wohl zu führen, vor allem aber ist er ein sehr genauer Beobachter, ähnlich dem unvergessenen David Foster Wallace. Die Reportagen knüpfen an die große Tradition der angelsächsischen Reiseschriftsteller an und sind eine höchst vergnügliche Lektüre. Es sei denn, sie sind ein Hohepriester des Political Correctness, weil dann wird der Blutdruck unweigerlich steigen.
PS: Harald Schmidt mag das Buch übrigens auch und dies ist ja schließlich nicht nichts!