Buchbesprechung/Rezension:

Johannes Schönner: Traite des Blanches - Mädchenhandel
Historischer Wiener Kriminalroman

verfasst am 24.09.2012 | 1 Kommentar

Autorin/Autor: Schönner, Johannes
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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[Gesamt: 5 Durchschnitt: 3]

Wie gerne hätte ich mir den Glauben an die gute alte Zeit und den guten alten Kaiser erhalten. Walzer, Sommerfrische in Ischl, promenieren auf der Ringstrasse – ich muss zugeben, ein bisserl k.u.k.-Zauber wär doch was schönes. Aber dann kommt dieser Krimi und mir nichts, dir nichts legt sich düsteres Licht über die ganze Operettenstimmung. Man könnte auch sagen – und das träfe es besser: hebt sich der rosarote Schleier.

Zum Vorschein kommt ein Moloch namens Wien. Nur wenige Schritte ausserhalb der glamourösen Ringstrasse begann eine Welt, über deren Charakter und Realität man, kaum etwas erfährt – schon um die Touristen nicht zu schockieren.

“Traite des Blanches – Mädchenhandel” steht für die Mädchen und jungen Frauen, die in jener Zeit in großer Zahl verschwinden, entführt, verkauft, ermordet wurden.

Detailreich, akribisch beschreibt Johannes Schönner Menschen, Orte, Gedanken und Geschehnisse. Aber leider verstellen diese vielen Datails meistens den Blick auf die Handlung und machen es schwer, dem roten Faden zu folgen. Was aber dieser Detailreichtum dabei trotzdem nicht geschafft hat war, mir die Charaktere näher zu bringen: ich las ihre Gedanken, ihr Leben, aber sie blieben mir doch völlig fremd und unpersönlich.

Es sind rund 370 Seiten, über die sich dieser Krimi ausbreitet und weit mehr als die Hälfte davon trägt weniger zur Spannung und zum Lesevergnügen als zur Langeweile bei und lädt zum forschen Weiterblättern ein. Das finde ich betrüblich, denn hin und wieder blitzt es hervor: das Wien, wie es zu Beginn des 20. Jahrhunderts und abseits der Prachtstrassen und Palais war. Ein Schmelztiegel, nicht unähnlich einigen Metropolen unserer Zeit, die genauso unkontrollierbar, genauso marode und düster sind.

Leider können sich der (von mir angenommene) literarische und der (zweifellos vorhandene) historische Anspruch mit dem Krimi nicht zusammen raufen. Von allem viel zu viele Informationen runderum versperren den Blick auf einen vielleicht spannenden Kriminalroman.

Kann aber auch sein, dass ich es völlig falsch verstanden habe und der Krimi sollte nur ein populärer Rahmen um eine Bestandsaufnahme jener Zeit sein. Das würde auch Sinn machen, denn Johannes Schönner ist in seinem “Zivilberuf” Wissenschaftler und beschäftigt sich mit der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

Im Anhang zum Roman sind einige historische Fakten aus der Handlung detailliert beschrieben. Dieser Abschnitt war für mich mit Abstand der interessanteste des Buches.




Ein Kommentar

  • Michael sagt:

    Ein sehr spannender Krimi, der in die Tiefen der menschlichen Seele hinunterzieht. Dort wo das zeitlos Böse herrscht. Und Mädchenhandel ist leider zeitlos, wie die Geschichte täglich beweist.

    Endlich auch ein historischer Kriminalroman, der keinen „Derrick“ vor hundert Jahren schildert, sondern geschichtliches Milieu der strahlenden und zugleich sterbenden österreichisch-ungarischen Monarchie vor 1914 und seiner Atmosphäre zielsicher einfängt.
    Dass der ermittelnde Kommissär Albrecht über Gerüche und Düfte den Mörder schließlich zu Fall bringt, erinnert stellenweise an „Das Parfum“ von Patrick Süßkind.

    Ein wahrhaft österreichischer Kriminalroman, der Lust auf eine Fortsetzung macht. Der Autor legt viele falsche Fährten, fordert vom Leser Aufmerksamkeit ein, dennoch ist das Buch kurzweilig zu lesen und detailgetreu recherchiert.

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