Steven Hall: Maxwells Dämon
Autorin/Autor: Hall, Steven
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Der Titel des Buches ist “Cupid’s Engine“, geschrieben von Andrew Black und es ist ein riesiger Erfolg. Damit gemeint ist dieses Buch im Buch, der Anker der Erzählung, die den Ich-Erzähler, Thomas Quinn, und die Leserinnen und Leser durch das Kommende begleiten wird.
Seltsam. So fängt der Roman (ich meine das richtige Buch, jenes, das man in Händen hält) an. So seltsam, dass er mich schon nach ein paar Seiten von sich überzeugt hat.
Steven Hall ist kein Vielschreiber, sein letzter Roman “The Raw Shark Texts” erschient vor nun schon beinahe 15 Jahren, weshalb ich mich nicht mehr ganz genau an die Details daraus erinnern kann. Was mir aber in Erinnerung blieb, das ist die Überschneidung verschiedener Erzähl-Dimensionen, mit denen Hall damals spielte. In eine ganz ähnliche Richtung scheint sich auch “Maxwells Dämon” zu entwickeln.
Jetzt lese ich ein paar Seiten und bin von dem Mysteriösen, dem Unsichtbaren, das im Hintergrund der Geschichte verborgen ist, gefangen.
Thomas Quinn: Sohn eines berühmten, weitgereisten Mannes, den er nur selten zu Gesicht bekam. Sieben Jahre ist der Vater schon tot, die Mutter noch viel länger; an sie kann Tom sich nur erinnern, wie sie die Tage im Bett verbrachte, zu mehr fehlte ihr die Kraft, und wie sie ihm die Welt der Bücher nahebrachte.
Woher Toms Verbindung zu “Cupid’s Engine” kommt, das ist nur wenigen Menschen bekannt. Der geheimnisvolle Andrew Black war Assistent seines Vaters, dessen geistiger Ziehsohn gewissermaßen. Ein undurchschaubarer Mensch ist dieser Andrew Black. Das zeigt sich schon, als er es als Autor immer ablehnt, in die Öffentlichkeit zu treten, alle Anfragen für Interviews werden strikt abgelehnt. Der Erfolgsautor bleibt somit vor der Öffentlichkeit verborgen, nur wenige kennen seine Identität und seinen Aufenthaltsort; einer davon ist Thomas Quinn. Der hatte vor einigen Jahren selbst einen Roman veröffentlicht, der jedoch ein Misserfolg war. Tom bat Andrew damals um dessen Einschätzung. Das war der Beginn einer losen Verbindung, man traf sich mehrmals, bis der Kontakt abbrach.
Andrew Black schrieb nach einem Zerwürfnis mit seinem Verlag keinen weiteren Roman. Tom schrieb noch zwei weitere, die aber keinen Verlag fanden.
Was nun geschieht: seltsame Nachrichten am Anrufbeantworter, seltsame Briefe von Andrew an Tom und dazu meint Tom, eine der Figuren aus Andrews Roman auf der Straße gesehen zu haben.
Alles das geschieht, während sich Imogen, Toms Frau, zu einer Forschungsexpedition auf der Osterinsel aufhält; nicht ungewöhnlich, dass eine solche Expedition mehrere Monate dauert. Ungewöhnlich aber, dass das die ganze Welt via Webcam Tag und Nacht mitverfolgen kann. Imogen schläft, lebt quasi vor den Augen der Welt. Aber immerhin kann so auch Tom seine Frau, die er mit jedem Tag mehr vermisst, wenigstens ab und zu sehen. Während die beiden telefonieren, sieht er ein Videobild von ihr, das einige Minuten in der Zeit zurückliegt. Eine technische Verzögerung?
Der erste Teil des Buches endet mit einem Cliffhanger, was ich zu diesem Zeitpunkt gar nicht gut finde. Denn mit dem letzten Satz dieses ersten Teiles ist man mitten in einer Twilight Zone angekommen, es scheinen sich gerade die Dimensionen der Realität verschoben zu haben.
Voller Ungeduld lese ich jetzt den zweiten Teil, der sich mit den Ereignissen vor rund sieben Jahren beschäftigt, als Toms Vater starb und es zur Begegnung von Tom und Andrew kam, um in Teil 3 endlich wieder zur Hauptgeschichte zurückzukommen.
Steven Hall kümmert sich sehr umfassend um die Details. Da sind die vier Evangelien der Bibel und das, was diese im Inhalt voneinander unterscheidet. Dazu die Frage, ob es ein fünftes, älteres Evangelium gibt, das vielleicht sogar direkt zu Jesus’ Lebzeiten verfasst wurde und das verloren ging. Religion hier, Fakten da: selbst physikalische Laien (so wie ich einer bin) verstehen nun den Energieerhaltungssatz, man liest einiges über Entropie und geschlossene Systeme.
Wohin sich diese Ereignisse entwickeln werden, ist indes gänzlich unklar. Es geschieht etwas, vielleicht ist schon etwas geschehen, doch die Verbindung zwischen den Hinweisen, die Steven Hall immer wieder deponiert (oder besser: so verbirgt, dass sie meist gar nicht als solche ins Auge fallen), lässt sich nicht erkennen.
Je weiter man liest, desto mehr verwischen sich die Erzählebenen, bis man sich beinahe selbst in verschiedenen Dimensionen verloren fühlt. Welche Zeit gerade ist, ob man etwas über ein reales Geschehen oder einen Abschnitt aus einem anderen Buch liest – Alles vermengt sich zu einem Roman, der alles tut, um seine Leserinnen und Leser auf falsche Spuren zu lenken.
Nachdem der Faden des Cliffhangers am Ende von Teil I wieder aufgenommen wurde, dreht sich das Karussell der Verwirrungen immer schneller. Der abschließende Teil IV treibt alles auf die Spitze, so sehr, dass man überhaupt nicht mehr sicher sein kann, was nun Realität und was Fiktion ist.
Das Buch hat zwischendurch immer wieder ein paar Längen. Dafür aber fordert es aber ansonsten, dass man sich darauf konzentriert, auf der richtigen Spur zu bleiben.
Spannend, unterhaltsam, aufregend.
Und am Ende die Frage, ob das wirklich schon alles war …