Buchbesprechung/Rezension:

Daniel Defoe: Die Pest in London

Daniel Defoe: Die Pest in London
verfasst am 29.10.2020 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Defoe, Daniel
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Es ist beinahe unheimlich, wie modern und aktuell dieses Buch ist. Erschienen im Jahr 1722 berichtet Daniel Defoe über die Pestepidemie im Jahr 1665 in England 100.000 Todesopfer forderte, 70.000 davon in der Stadt London – rund ein Fünftel der Bevölkerung. Der Originaltitel “A Journal of the Plague Year” definiert genau, was man in Händen hält: eine Reportage und Chronik über diese Katastrophe, geschrieben in Form eines Berichtes eines Überlebenden.

Dass dieser Roman im Jahr 2020 neu aufgelegt wurde, ist beinahe logisch in diesem Annus horribilis, das wir gerade erleben. Abseits von allen politischen oder Klimakatastrophen, die den Planeten überziehen, ist es vor allem die Corona-Pandemie, die die Menschen bis in die entferntesten Winkel beschäftigt.

Defoes Reportage führt rund 350 Jahre zurück in die Vergangenheit, in der eine andere Pandemie (die Pest) noch viel schlimmere Folgen hatte, in der aber manches so unglaublich ähnlich verlief, wie heutzutage.

Damals war es der Aberglaube, der die Menschen an alle möglichen Gründe für den Ausbruch der Seuche glauben ließ, von Kometen, die das Unglück ankündigten, bis hin zu Gottesstrafen ist die Rede, heute sind es die in sozialen Medien schrankenlos verbreiteten Verschwörungstheorien. Damals waren es selbsternannten Prediger und falschen Propheten, die auf den Straßen die verunsicherten Menschen um sich versammelten, heute verbreiten verwirrte Geister ihre Thesen via Internet und finden breites Gehör, wie absurd ihre Behauptungen auch sein mögen. Und damals wie heute gab es diejenigen, die einfach nur versuchten, auf reiner Faktenlage die Situation zu erfassen und Lösungen zu finden.

So groß die Fortschritte in Wissenschaft und Medizin seit damals auch sind, der Ablauf der Maßnahmen zur Eindämmung ist damals wie heute ist beinahe gleich: zunächst die Zeit, während er noch niemand das Ausmaß überblicken konnte, dann die Versuche, durch Quarantäne die betroffenen Gebiete zu isolieren. Lockdown, Vermeidung direkter Kontakte und vorverlegte Sperrstunde für Lokale, den Niedergang des Wirtschaftslebens – das gab es auch schon damals. Spätestens bei der Zählung der riesigen Opferzahlen in London im Jahr 1665 wird man sich an die Bilder aus Norditalien im Frühjahr 2020 erinnern, als die Toten nicht mehr beerdigt werden konnten, weil es nicht genügend Särge gab.

Aber natürlich können wir uns glücklich schätzen im 21. Jahrhundert zu leben. Unsere Chancen auf Heilung sind heute doch unvergleichlich höher.

Defoe war zum Zeitpunkt der Ereignisse fünf Jahre alt und wird sie selbst wohl nicht so direkt miterlebt haben. Aus Dokumenten, Statistiken und verfügbaren Berichten stellte er dennoch einen Augenzeugenbericht zusammen, als wäre der Erzähler im Buch, ein Sattler aus London, wirklich dabei gewesen – so nahe wie hier kann man den Auswirkungen einer Seuche wohl nur selten kommen.

Im Stil unglaublich modern geschrieben, erfährt man nicht nur etwas über die dramatischen Vorgänge, sondern zugleich auch enorm viel über den administrativen Aufbau von Staat und Stadt, über England im 17. Jahrhundert und über Lebensverhältnisse und Lebensinhalte der Menschen.

Etwas in die Länge ziehen sich nur die Erzählungen dieser vielen Einzelschicksale, man hat das Gefühl, dass Daniel Defoe nahezu jedes Opfer der Pest in seinem Buch erwähnt. Mit fast schon zu realistischen Bildern zeigt er dann das Grauen, die Angst und die Hoffnungslosigkeit der Menschen

In vielerlei Hinsicht ist “Die Pest in London” ein lehrreicher historischer Roman. Er zeigt, neben all den Fakten, auch, wie wenig sich das Verhalten von Menschen in Extremsituationen seit damals verändert hat, wie unterschiedlich noch immer die Auswirkungen auf die Bevölkerungsgruppen sind, wenn es keine funktionierende medizinische Versorgung für alle gibt, dass es damals wie heute immer Demagogen geben wird, die Notsituationen ausnützen und daß es viel zu viele Menschen gibt, die diesen Demagogen wie die Lemminge folgen.




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