Buchbesprechung/Rezension:

Katherena Vermette: Die Frauen der Familie

Die Frauen der Familie
verfasst am 18.12.2025 | einen Kommentar hinterlassen

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Das liebliche pastellfarbene Cover, auf dem aus Perlen gestickte Blumen abgebildet sind, suggeriert eine Familiengeschichte mit starken Frauen. Ja, es geht um eine Familie, aber um eine, in der es um frühe Schwangerschaften, ungeliebte und straffällig gewordene Kinder, Alkoholismus und Drogen sowie Verlust und Tod geht.

Der Einstieg ist gleich einmal dramatisch. Phoenix, ungeliebte Tochter von Elsie, bringt in einer Jugendstrafanstalt einen Sohn zur Welt, den man ihr gleich abnimmt. Eine übliche Vorgangsweise, denn Phoenix ist minderjährig, ohne Ausbildung, ohne Einkommen, der Kindesvater ist abgetaucht und Phoenix ist indigen. Man erfährt nicht, warum sie in Haft ist, kann aber ihre häufigen Wutausbrüche, die eine vorzeitige Entlassung verhindern und ihr weitere Wochen in Haft einbringen, miterleben. Interessant finde ich, dass sich Phoenix im Gefängnis ihrer indigenen Wurzeln bewusst werden kann.

Da Elsie, die gemeinsame Mutter, alkoholkrank und drogensüchtig ist, wächst auch Phoenixs Schwester Cedar zunächst bei unterschiedlichen Pflegefamilien auf, bis sie in die Obhut ihres Vaters Shawn und dessen Ehefrau Nikki genommen wird. So richtig geliebt oder wenigstens angenommen fühlt sie dort auch nicht, zieht doch Nikki ihre eigene Tochter Faith Cedar vor. Trotzdem scheint Cedar, die eine gute Schülerin ist, die einzige der Familie zu sein, die diesen Kreislauf aus Gewalt, Übersehen werden und Alkohol, zu durchbrechen.

Erzählt wird ausschließlich aus der Perspektive der Frauen der Familie Stranger, Annie, Margaret, Elsie, Phoenix und Cedar und umfasst den Zeitraum von fünf Jahren. In zahlreichen Rückblicken und Erinnerungen, die je nach Person unterschiedlich ausfallen, erfährt die Leserschaft zahlreiche Details aus dem Leben von Urgroßmutter Annie, deren eigentlicher Name Angelique ist. Ihr Ehemann hat sie dieses Namens beraubt und nennt sie Annie. Zahlreiche Verluste verbinden die Frauen, sei es das Abhandenkommen der eigenen Identität, die behördliche Abnahme von Kindern oder dass, sie von Ehemännern verlassen werden und in Armut leben.

Einige Jahre wohnen Margaret, Elsie, Phoenix und Cedar gemeinsam mit Annie in deren Haus. Während Elsie durch ihren Alkoholkonsum, Phoenix durch ihre Gewalt und die diversen Brüder bzw. Söhne, die ebenfalls im „braunen Haus“ leben, durch kriminelle Machenschaften bis hin zum Banküberfall, bei dem Joseph, von dem man geglaubt hat, er würde seinen Weg machen, erschossen wird, präsent sind, wird Margaret einfach übersehen. Ihre einzige Leidenschaft ist, Puzzles zu legen. Jahrelang hält sie die Familie irgendwie zusammen, was auf ihre Kosten geht. Nach Annies Tod, will sie das geerbte Haus verkaufen und alle, die bislang darin wohnen, hinauswerfen. Sie hat genug davon, von allen ausgenützt zu werden.

In jeder Generation wiederholen sich die Muster: Jede der Frauen wird als Jugendliche schwanger, die Kindesväter sind nicht präsent oder tot und die Frauen können den Töchtern keine Liebe schenken, die ist, so wie das wenige Geld, fast ausschließlich für die oft nichtsnutzigen Söhne reserviert.

Diese Familiengeschichte, die ihre zahlreichen Traumata über Generationen von Mutter an Töchter weitergibt, ist grundsätzlich interessant zu lesen. An manchen Stellen muss man, ob der derben Sprache, heftig schlucken. So richtig warm werde ich mit keiner der Figuren. Selbst Cedar, die alles versucht, um dem Teufelskreis zu entfliehen, wirkt nicht besonders sympathisch. Ein Charakter, der erst im Laufe der Erzählung sein wahres Ich präsentiert, ist Nikki, die neue Frau in Shawns Leben. Zunächst scheint sie bemüht zu sein, Cedar eine gute Stiefmutter zu sein, doch als die sich nicht nach ihren Vorstellungen entwickelt, kommen einige unschöne Charakterzüge zum Vorschein.

Autorin Katherena Vermette ist selbst indigener Abstammung, weshalb sie einerseits solche oder ähnliche Geschichten kennt, andererseits setzt sie von ihrer Leserschaft einiges Wissen über Kanadas Ureinwohner voraus. Allerdings gibt es meiner Meinung nach nur wenige Stellen, an denen die indigene Herkunft besonders beschrieben wird. Manchmal wird auf darauf hingewiesen, dass die Frauen der Familie Stranger dunklere Hautfarbe als andere haben. Die Familie sind sogenannte Métis (von französisch Mestize), Nachfahren von Crée und Europäern. Hin und wieder fällt das Wort Kukuum, das Wort für Großmutter, das ich schon aus dem gleichnamigen Buch von Michel Jean kenne, sowie die Bezeichnung Michif, für die Mischsprache aus den indigenen Sprachen mit Französisch.

Ich habe alle Bücher von Michel Jean, einem Innu, der den Spuren seiner Herkunft nachgegangen ist, und trotz aller Tragödien um Umerziehung und Misshandlungen in kirchlichen Heimen, doch so etwas wie Aufbruchstimmung verbreitet, gelesen. Ich habe bewusst zu diesem Buch gegriffen, um die weibliche Sicht der indigenen Frauen kennenzulernen und bin nun ein wenig enttäuscht, dass die Zerrüttung der Familie, in der auch Suizide vorkommen, mit der Marginalsierung und Verachtung, die den Indigenen Kanadas entgegen gebracht wird, nicht in diesem Zusammenhang gesehen wird. Die Geschichte könnte überall spielen.

Fazit:

Diese Familiengeschichte ist nicht ganz so, wie ich es erwartet habe, daher gibt es 4 Sterne.




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