Christian Bommarius: Todeswalzer - Der Sommer 1944

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Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Gewalt, wohin man sah: Der Sommer 1944 war der endgültige Beginn des Unterganges Nazideutschlands, aber auch der Beginn für noch mehr Sterben, noch mehr Tote, noch mehr Leid als es bisher schon in den fünf zurückliegenden Jahren des Weltkriegs gab.
Mit der Operation „Overlord“, der Invasion in der Normandie, schlossen die Westalliierten ab dem 6. Juni 1944 die Zange rund um die deutschen Armeen. Von da an drangen die Alliierten aus allen Himmelsrichtungen unaufhaltsam vor.
Obwohl der kommende Untergang offensichtlich war, peitschten die Nazis die Deutschen weiter zu sinnlosem Sterben. Sie schickten nicht nur die Soldaten in den Tod, während die Fronten immer näher rückten, intensivierten die Nazis zu selben Zeit auch die Ermordung von Juden. Endlose Transporte rollten nach Osten, in die noch immer von den Deutschen besetzten Gebiete Polens. Die Tötungsmaschinerie in den Konzentrationslagern lief ungebremst weiter.
In jeder Minute wurden unzählige Menschenleben ausgelöscht.
Mit der Gegenüberstellung der zeitgleichen Ereignisse unternimmt Christian Bommarius den Versuch, diese apokalyptische Zeit zu beschreiben. Dass das nur bedingt gelingen kann, ist klar, denn um alles zu verstehen, müsste man selbst in diesem Sommer 1944 dabei gewesen sein.
Wie sollte man sich vorstellen können, wie zehntausende, hunderttausende bei einer Offensive, einem Massaker, eine Schlachte sterben. Wie sollte man sich vorstellen können, wie es ist, wenn man nicht weiß, ob im nächsten Moment eine Bombe das Leben auslöscht, alles rundherum zerstört, alles, was man kennt und liebt vernichtet. Von solchen katastrophalen Einzelereignissen gab es im Sommer 1944 viele, verteilt über den ganzen Kontinent.
Bei Büchern wie diesem stellt sich für mich immer die Frage: Wer wird das lesen?
Diejenigen, denen bewusst ist, welche Verbrechen die Rechtsextremisten (und natürlich auch Linksextremisten – siehe Stalin – aber die sind hier nicht das Thema) begehen, werden es lesen. Diejenigen, die verstehen wollen, was in unserer jüngeren Vergangenheit tatsächlich geschah, werden es lesen.
Nicht lesen werden es wahrscheinlich diejenigen, die heute, in den 2020er-Jahren, nichts dabei finden, Rechtsextremisten und Rassisten zu unterstützen und zu wählen. Und sie werden weiterhin meinen, dass man solchen Leuten (die heutzutage in Gestalt von Rechtspopulisten auftreten) „eine Chance gegen“ soll, wenn man mit den demokratischen Kräften gerade nicht zufrieden ist.
In diesem Buch beschäftigt sich Christian Bommarius mit den Monaten zwischen der Landung der Alliierten Truppen in der Normandie (6. Juni 1944) und der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945.
Als die Alliierten Truppen in der Normandie landen, glaubt man sich dem Ende der Nazi-Herrschaft über Europa nahe. Dass es noch acht Monate dauern und noch einmal so viele Menschenleben wie die gesamten fünf Jahre zuvor kosten würde, ahnt zunächst niemand.
An Hand von Briefen, Augenzeugenberichten sowie Fotos und militärischen Dokumenten erzählt Jurist und Autor Christian Bommarius, gekonnt wie eng das Sterben und Leben nebeneinander liegen.
Der Autor lässt seine Leser an einzelnen Schicksalen und verheerenden Konsequenzen für ganze Bevölkerungsgruppen teilhaben. Die große Stärke des Autors ist es, die zahlreichen unterschiedlichen Aspekte des Krieges zu beleuchten. Dabei fesselt er seine Leser mit kaleidoskopartigen Betrachtungen.
Faszinierend ist, wie Bommarius die scheinbaren Widersprüche aufzeigt und gleichzeitig den ungebrochenen Willen der Überlebenden darstellt. Dabei legt er den Fokus auch auf kleine, banale Dinge, die in anderen Sachbüchern über den Zweiten Weltkrieg manchmal „unter den Tisch fallen“.
Die nüchterne Erzählweise, die die Ereignisse aus zahlreichen, höchst unterschiedlichen Perspektiven zeigt, hat mir sehr gut gefallen.
Dem Zitat von Immanuel Kant auf Seite 263 ist, auch angesichts der aktuellen politischen Weltlage wenig hinzuzufügen:
»Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.«
Fazit:
Mit diesem Buch ist Christian Bommarius eine zugleich beklemmende und fesselnde Darstellung der letzten acht Monate des Zweiten Weltkriegs in Europa gelungen. Gerne gebe ich diesem Buch 5 Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung.