Buchbesprechung/Rezension:

Suzanne Joinson: Kashgar oder Mit dem Fahrrad durch die Wüste

verfasst am 10.09.2012 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Joinson, Suzanne, Romane
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Ein Roman, angesiedelt zwischen zwei „Welten“.
1923 reisen drei junge Frauen nach Kashgar, einer Stadt an einem wichtigen Knotenpunkt der Seidenstraße im heutigen China. Dort werden sie als Missionarinnen die Muslime zum Christlichen Glauben bekehren.
In der Gegenwart, in London, lebt Frieda. Die junge Frau, ständig auf Reisen, versucht nach einem neuerlichen Aufenthalt in der Fremde ihr Leben zu entschleunigen und zu bleiben und nicht wie gewohnt, in die Ferne zu flüchten.

Die Autorin erzählt eine wunderschöne Geschichte über die Suche nach der eigenen Verortung und Verwurzelung, indem sich zwischen den unterschiedlichen Zeiten pendelt und diese schlussendlich als ein Ganzes in der Gegenwart zusammenfügt.

Die Schwestern Eva und Lizzie, begleitet von der Missionarin Millicent, landen 1923 in Kashgar, in Ost-Turkestan. Bei ihrer Ankunft werden sie Zeuginnen einer Geburt eines Babys. Die Mutter, selbst noch ein Kind, verblutet. Millicent, die mit einem Messer die Nabelschnur durchtrennt, wird als Mörderin beschuldigt. Alle drei Frauen stehen daraufhin bis zur ihrem Prozess unter Hausarrest.

Millicent und Lizzie gehen – trotz Wartens auf ihre Verurteilung – voll in ihrer Missionierungsaufgabe auf. Eva dagegen kümmert sich um das Baby, um das Mädchen Ai-Lien. Dies ist in Kashgar gar nicht so einfach, es gibt kaum Milch, die Lebensverhältnisse sind anstrengend.

Eva hat ihr Interesse an der Missionarsarbeit eher vorgeschoben, um aus London weg zu kommen. Sie wollte lieber mit ihrem Fahrrad die Wüste befahren und einen Reiseführer darüber schreiben. Zum Schreiben muss sie sich die Zeit stehlen, der Alltag fordert sie.

Die Bekehrung in der arabischen Welt bringt die Frauen ständig in Gefahr. Die Missionarin Millicent scheint eine eigene Vorstellung von der Bekehrung zum Christentum zu haben, macht dies mittels Flugblätter und unter anderem im Auffinden wunder seelischer Punkte muslimischer Frauen, um ihnen dann – wenn sie der Verzweiflung nahe sind – eine neue Heimat im Christentum zu bieten.

Die politische Situation in Kashgar eskaliert und Eva muss fliehen. Alleine. Ihre Schwester Lizzie stirbt weil sie für den Glauben hungert und Millicent wird von Einheimischen abgeholt und kehrt nicht mehr zurück. Eva befürchtet, dass sie hingerichtet wurde.
Eva nimmt die kleine Ai-Lien mit auf die anstrengende Reise, von Kashgar über das Himmelsgebirge, nach Urumtschi und mit Hilfe der Inlandsmission über Russland heim nach England.

In London, um das Jahr 2012, erhält Frieda ein Schreiben vom Amt für Sterbefälle. Sie sei alleinige Erbin von Frau Irene Guy und soll deren Wohnung räumen. Frieda hat keine Ahnung, in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie zu dieser Frau steht. Gemeinsam mit Tayeb, einem Flüchtling aus dem Jemen, durchsuchen sie die Wohnung nach Anhaltspunkten. Sie entdecken eine Leica und ein uraltes Vervielfältigungsgerät. Schließlich findet sich in einer Bibel ein Foto. Darauf abgebildet ist Friedas Mutter, hochschwanger, datiert mit dem Jahr 1973. Dazu ein dickes schwarzes Notizbuch, eine Art Tagebuch mit dem Titel „Reise nach Kashgar, oder: Mit dem Fahrrad durch die Wüste“.

Das Foto macht Frieda ihre Entwurzelung noch bewusster und sie macht sich auf, um ihrer eigenen Geschichte auf die Spur zu kommen.  Dazu muss sie ihre Mutter besuchen, die sie seit ihrem 14. Lebensjahr nicht mehr gesehen hat. Ihre Mutter hat sich gegen ihre Tochter entschieden und sie auf ihrer spirituellen Suche nach dem universellen Gott verlassen. Tayeb begleitet Frieda in die Prima-Stiftung, einer Yogi-Kommune, in der Friedas Mutter Amrita lebt. Sie kann nicht sprechen, so wie alle anderen BewohnerInnen auch. Sie alle haben das „Gelübde des ewigen Schweigens“ abgelegt und sich dafür die Sehne unter der Zunge durchtrennen lassen.  

Kurz dauert das Gespräch zwischen Frieda und ihrer Mutter. Doch es bringt Frieda die eigene Lebensgeschichte und ihre Wurzen zurück.

Ein tolles Buch mit geschickter Verknüpfung als Reise im vergangenen Jahrhundert bis in die Gegenwart.
Die arabische Welt, das Klima unter dem beschwerlich zu leben ist, Vögel aller Art die in beiden Handlungsstränge eine Rolle spielen und die  die Suche nach dem eigenen Ich sind zu einer besonderen Geschichte verknüpft, die sehr lesenswert ist!

Besonders nett fand ich die Ratschläge aus Mrs. Wards Fahrradhandbuch für Damen aus dem Jahr 1896! So sollten die Beschaffenheit von Straßen vor dem Radfahren studiert werden, oder beispielsweise: “Es gibt die Schwierigkeit des Aufsitzens, die Schwierigkeit des Lenkens und die Schwierigkeit, in die Pedale zu treten; und dann gibt es noch die allgemeine Schwierigkeit, dies alles zusammen und auf einmal zu bewältigen.“




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