Buchbesprechung/Rezension:

Henning, Peter: Die Ängstlichen

verfasst am 15.06.2011 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Henning, Peter, Romane
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Der Schauplatz dieses Romans, um nicht zu sagen das Schlachtfeld, befindet sich im deutschen Städtchen Hanau, der Heimat der weltberühmten Märchenerzähler Gebrüder Grimm. Den Gefallen eines Märchens erweist uns Peter Henning allerdings nicht, vielmehr begegnet man dem schieren Gegenteil. Eine wahrlich furchterregende Geschichte über Existenzängste und innerfamiliären Grausamkeiten, sprich: wir sprechen vom Alltag in westlichen Wohlstandsgesellschaften. “Doch wohin er auch floh: Die Angst davor war immer schon da.”

Im Mittelpunkt der Familiengeschichte steht Johanna Hansen, die Patriarchin, dreifache Mutter und vierfache Großmutter, die nach dem überraschenden Verlust ihres Lebenspartners Janek beschließt, den Familiensitz aufzugeben und den Rest ihres Lebens in einem Seniorenheim zu verbringen. Um diese Entscheidung zu verkünden, plant sie ein letztes gemeinsames Familientreffen, das sie akribisch vorbereitet und wo alle nochmals zusammenkommen sollen.

Die Gästeliste wird von Helmut Jansen angeführt, dem ältesten Sohn Johannas, einem egomanisch veranlagtem, beziehungsunfähigen, zynischen Ekelpaket, einem Neurotiker reinsten Wassers, dessen Leben aus den Fugen gerät, als er eines Tages Blut in seinem Urin entdeckt.

Weiters ihre Tochter Ulrike, die vor den Trümmern ihrer Ehe steht, nachdem die außerehelichen Verfehlungen ihres Mannes Rainer ruchbar wurden, für dessen Karriere als Finanzvorstand eines Reifenkonzerns sie ihr eigenes Leben, für den einlullenden Schein materieller Sicherheit, geopfert hat.

Schließlich Johannas Enkelsohn Ben Jansen, ein zarter junger Mann und Sportjournalist ohne feste Anstellung, von Geldnöten geplagt, der seine Kindheit in einem Heim verbracht hat und von Panikattacken heimgesucht wird.

Der Rest der Familie musste „leider“ absagen, wenngleich auch aus sehr unterschiedlichen Motiven. Ulrikes Mann Rainer wurde von seiner Gattin eigenhändig mittels anonymen Drohbriefen in den Wahnsinn getrieben, sozusagen als „kleine“ Racheaktion für die erlittene Schmach. Er verbarrikadiert sich in seinem Hobbykeller. Für die drei Kinder des Paares ist der Begriff „Familiensinn“ ohnehin bar jeder Bedeutung.

Bens Freundin Iris, eine Bankangestellte blieb dem Treffen ebenfalls aus eigenem Antrieb fern, nachdem sie von Ben zu einer kriminellen Handlung angestiftet wurde, womit er die Liebe seines Lebens anscheinend zerstört hat.

Einzig Konrad Jansen, der zweite Sohn Johannas ist kein Ängstlicher und nimmt volles Risiko, um endlich wieder heim zu kommen. Seit langen Jahren an Schizophrenie leidend, setzt er die Medikamente ab und wagt einen halsbrecherischen Ausbruchsversuch aus der psychiatrischen Heilanstalt, in der er sein Leben fristet.

Die Protagonisten werden von Henning im Laufe der Handlung immer stärker unter Druck gesetzt und hervorragend weiß er die Spannung von Seite zu Seite zu steigern. Die Chancen, die ihnen der Autor einräumt, können sie auf Grund ihrer absoluten Mutlosigkeit jedoch nicht nützen. Alles konzentriert sich auf den großen Showdown „Familientreffen“ und man wird nicht enttäuscht.

Ja, so fühlt es sich an das Fegefeuer der Kleinbürger und Gefühllosen, der Ängstlichen und niemals über den eigenen Schatten-Springer. Eine wahrlich fürchterliche Befundung der Gegenwart!

Unweigerlich drangen bei der Lektüre der Ängstlichen die Lamberts aus den Tiefen meines Gedächtnisses hervor, jener ebenfalls monströse Familienverband mit ihrem letzten gemeinsamen Weihnachtsfest aus dem modernen Klassiker „Die Korrekturen“ von Jonathan Franzen.

Leider besitzt Henning nicht das sprachliche Talent des Amerikaners, denn Sprachbilder wie „Ulrike war aufgeschreckt, und das Wort ALARM flackerte rhythmisch auf sämtlichen Bildschirmen ihres inneren Frühwarnsystems“ haben wir schon eleganter gelesen.

Ansonsten wären „Die Ängstlichen“ wohl ebenfalls ein Stück Weltliteratur.

So ist das vorliegende Werk „nur“ gute deutsche Prosa.

Aber das ist ja immerhin auch etwas.




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