Buchbesprechung/Rezension:

Murray, Paul: Skippy stirbt

verfasst am 24.02.2011 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Murray, Paul
Genre: Romane
Buchbesprechung verfasst von:
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[Gesamt: 4 Durchschnitt: 4]

Die Pubertät, jenes Entwicklungsstadium, das unweigerlich jeden Menschen mehr oder minder hemmungslos heimsucht, sowie Spuren im Herzen und manchmal auch im Gesicht hinterlässt, steht im Mittelpunkt dieses bemerkenswerten Romans des jungen Iren Paul Murray. Die Pubertät als Himmel und Hölle für die Betroffenen, ausschließlich Hölle für die Angehörigen zeitigt in „Skippy stirbt“, wie der Titel schon suggeriert, jedoch letale Auswirkungen.

Aber schön der Reihe nach: Daniel „Skippy“ Juster ist Internatsschüler im renommierten, vom Orden der Paraclete Fathers betriebenen, Dubliner Knabencollege Seabrook, sozusagen der pädagogischen Speerspitze des irischen Bürgertums. Er teilt sich im Internat ein Zimmer mit Ruprecht „Blowjob“ van Doren, einem schwer übergewichtigen Mathematikgenie, der versucht mit außerirdischen Intelligenzen Kontakt aufzunehmen und mittels selbstentworfener Zeitmaschine in andere Dimensionen vorzudringen. “Ich wollte, ich wäre in der elften Dimension. Mit ein bisschen Porno.”

Skippy ist ein guter Schüler, Mitglied der erfolgreichen Schwimmmannschaft und ansonsten auch das, was man/frau einen halbwegs normalen Jungen nennen würde, wenn man/frau davon absieht, dass seine Mutter an Krebs erkrankt ist.

Doch plötzlich passiert es! Skippy verliebt sich in Lori Wakeham, ein wunderschönes Mädchen aus der benachbarten Mädchenschule von St. Brigid.

Doch Lori spielt nur mit Skippy und treibt ihn so in eine ausweglose Situation – er fühlt sich allein und unverstanden, wie es bei den Heranwachsenden öfters der Fall ist.

Während eines Donutwettessens gegen seinen Freund Ruprecht bricht Skippy plötzlich zusammen und verstirbt, nachdem er vorher…- zuviel möchte ich aber nicht verraten.

Skippys Geschichtslehrer Howard „Hasenfuß“ Fallon ist die Hauptfigur aus der Erwachsenenwelt und auch sein Leben gerät ganz ordentlich aus den Fugen. Nach einer Affäre mit der überaus attraktiven Aushilfslehrerin Aurelie McIntyre verlässt ihn seine Freundin und Howards Dauerkonflikt mit dem streng konservativen Direktor Gregory „Automator“ Costigan trägt auch nicht unbedingt zur Gemütsaufhellung bei.

Paul Murray korrigiert rigoros das von den Medien geschaffene Irland-Bild mit seiner Kneipenseeligkeit, den grünen Wiesen, den urigen Bauern und natürlich den rothaarigen Frauen. Viel erfährt der Leser von der Stimmung im Land und den geplatzten Lebensträumen, die mit dem Ende des Wirtschaftsbooms vor zehn Jahren zerstört wurden.

Viele traurige Geschichten stecken in den beinahe 800 Seiten, einem Roman von wahrlich epischer Breite. Geschichten über Lüge, Verrat, Enttäuschung, die Jugendlichen trinken zuviel Alkohol, nehmen Drogen, erpressen Sex und werden selbst Opfer von Missbrauch durch katholische Priester – Dinge, die uns bekannt vorkommen und fast schon so was wie die Normalität in den modernen Gesellschaften darstellen. Auch die Familie ist kein sicherer Hort mehr, die Kluft zwischen Erwachsenen und Kindern erscheint riesengroß und unüberbrückbar.

Fast möchte man/frau annehmen dieses Buch sei nur in Kombination mit einer Packung Psychopharmaka zu konsumieren, doch der Autor erzählt die Geschichte in witzig-lockerem Tonfall. Paul Murray besitzt eine große Begabung für Dialoge und kurze treffende Bemerkungen – vor allem die verbalen Auseinadersetzungen zwischen Direktor Costigan und dem Geschichtslehrer Howard Fallon sind vom Feinsten.

Im Ton erinnert „Skippy stirbt“ an die Werke des britischen Erfolgsautors Nick Hornby, für mich allerdings noch um eine Klasse besser.

Originell ist auch die Aufmachung des Buches: es wird in drei Bänden (Hopeland – Heartland – Ghostland) in einem irischgrün gefärbten Schuber geliefert. Dies hat unzweifelhaft den Vorteil, wenn man/frau zu den Unterwegslesern gehört, dass nicht immer die ganze Schwarte mitgeschleppt werden muss. Trotz der fast 800 Seiten weist der Roman jedoch keinerlei Längen auf, was für das große Erzähltalent des Autors spricht.

Die Startauflage ist mit 30.000 Exemplaren für einen unbekannten Autor gewagt hoch, doch es ist dieser vielversprechenden jungen europäischen Stimme zu wünschen, dass die Bücher wie die sprichwörtlichen warmen Semmerln über den Ladentisch gehen.




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